Was kann man ausrichten gegen die Wucht eines solchen Satzes? Er kam so plötzlich daher, so spontan und dann auch noch mit so viel bodenständigem Charme. Sigmar Gabriel war in Wahrheit ohne Chance, als er am Montag mit der Putzfrau Susanne Neumann diskutierte. Die Frau wollte, dass die sogenannte sachgrundlose Befristung von Jobs endlich verboten wird. Gabriel erwiderte, dass dies mit "den Schwarzen" leider nicht durchzusetzen sei. Worauf ihm die Frau dazwischenfuhr, im Dialekt des Ruhrgebiets: "Warum bleibt ihr dann bei den Schwatten?"
Sozialdemokratie:Die SPD muss wieder für Gerechtigkeit stehen
Die Lage der Sozialdemokraten war schon Jahrzehnte nicht mehr so ernst. Vielleicht können sie nur in der Opposition wieder stark werden.
Die Frage zeigt, womit viele hadern
Dieser Satz, diese rhetorische Frage, drückt viel mehr aus, als es seiner Schöpferin möglicherweise bewusst gewesen ist. Es war eine einfache Frage, in einfachen Wörtern, sie war vorgetragen mit dem Anspruch, darauf eine einfache Antwort zu bekommen - und gerade deshalb brachte sie zum Vorschein, warum es derzeit so klemmt zwischen vielen Wählern sowie jenen, die sie jahrzehntelang wählten; warum Erstere mit Letzteren so hadern.
Natürlich macht die Politik es einem oft schwer, sie zu verstehen. Manchmal liegt das an den Projekten, die sie verfolgt, manchmal an der Sprache, in der sie diese Projekte erklärt, manchmal an beidem. Welche Putzfrau wüsste schon, ob und was eine "Schwarze Null" im Bundeshaushalt für ihr Leben bedeutet? Welchem Arbeiter muss TTIP nicht wie ein Monstrum vorkommen, bei dem allein schon die Großbuchstaben erschlagend sind?
Und wer denkt sich überhaupt eine Wortschöpfung wie "sachgrundlose Befristung" aus; von so exotischen Dingen wie dem "morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich" (in der Gesundheitspolitik) ganz zu schweigen. Technokraten können - manchmal - Probleme lösen. Menschen gewinnen können sie nicht.
Doch es ist nicht nur die Politik, welche die Bürger überfordert. Umgekehrt ist es genauso. Die Sehnsucht nach einfachen, klaren Antworten wohnt dem Menschen möglicherweise inne. Demagogen haben derzeit so viel Erfolg, weil sie ihrem Publikum weismachen, man müsse eine Sache nur endlich entschlossen wollen, dann erreiche man sie auch. Aber wie absurd das ist, zeigt sich ja schon an dem verhältnismäßig kleinen Problem der befristeten Jobs (gemessen jedenfalls an Klimawandel, Syrien, Flüchtlingen, Ukraine oder Euro-Krise).
Die Koalition aufkündigen und trotzdem etwas erreichen - wie soll das gehen?
Hätte die SPD die Koalition ernsthaft absagen sollen, weil die Abschaffung dieser Beschäftigungsform mit Schwatten nicht zu erreichen ist? Hätte sie in Kauf nehmen sollen, dass es dann auch keinen Mindestlohn, keine Rente mit 63, kein Gesetz zur Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen geben würde; also all die anderen Kleine-Leute-Projekte, die sie der Union abgerungen hat? Das Bündnis aufgeben, aber trotzdem politische Ziele erreichen - wie soll so etwas gehen?
Diese Frage hat Sigmar Gabriel vordergründig der Putzfrau gestellt, tatsächlich aber all jenen, für die das Glas immer halb leer statt halb voll ist. (Gerade in der SPD und um sie herum gibt es etliche, die Weltmeister darin sind, die Dinge so zu betrachten.) Die Antwort war ebenso charmant wie bezeichnend: "Wenn 'ne Reinigungskraft dir dat sagen könnte, wie du dat hinkriegst..."
Es gibt im 67. Jahr der Bundesrepublik nicht nur Politikverdrossenheit, sondern offensichtlich immer noch Kinderglaube in die Politik. Jedenfalls ist es keine erwachsene Haltung, von Politikern mehr oder weniger zu erwarten, sie hätten doch Zugang zu einer Art Alchemistenküche, in der noch die unmöglichsten Dinge produziert werden können. Zugegeben, Politiker meinen oft, diesen Eindruck erwecken zu müssen; anschließend wundern sie sich, wenn sie an den geschürten Erwartungen gemessen werden. Seltsam bleibt es dennoch.
Wehe, die Politik kann nicht sofort liefern, was bestellt worden ist
Demokratie ist eine Veranstaltung, in der jeder in jedem Augenblick mitverfolgen kann, wie unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und Weltanschauungen miteinander ringen. Mal setzt der eine etwas durch, mal der andere - so hat die Republik ziemlich lange recht ordentlich funktioniert. Jetzt aber herrscht ein Zeitgeist, der die eigene Perspektive und das eigene unmittelbare Interesse absolut setzt. Und wehe, die Politik kann nicht sofort liefern, was bestellt worden ist.
Heutzutage hat man "den Schwatten" schleunigst zu sagen, was Sache ist, und wenn die nicht einsehen, dass alles exakt so zu machen ist, wie man es selber für richtig erkannt hat - dann bedeutet es schon einen Verlust an Glaubwürdigkeit, wenn man trotzdem mit ihnen arbeitet und vorerst nur diejenigen Dinge durchsetzt, die durchzusetzen sind. Verrückt.