Nazi-Verbrechen:Dreimal Demjanjuk

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John 'Iwan' Demjanjuk im Landgericht München 2011 (Foto: dpa)

Lawrence Douglas beobachtete zwischen 2009 und 2011 den Prozess gegen den NS-Täter John Demjanjuk am Landgericht München II. Der US-amerikanische Rechtswissenschaftler hat ein spannendes Lehrstück vorgelegt.

Rezension von Robert Probst

Jeder, der schon mal im Münchner Justizzentrum an der Nymphenburger Straße war, wird sich über diese treffende Beschreibung des größten Verhandlungsraums dort freuen. Von einem "fensterlosen, achteckigen Saal, der einer Kreuzung aus schäbigem Seminarraum, schmuckloser Lutheranerkapelle und Luftschutzbunker gleicht", ist da die Rede.

Und jeder, der vor dem Landgericht München II dem Demjanjuk-Prozess 2009 bis 2011 beigewohnt hat, wird schmunzeln, wenn der zuständige Arzt als eine Art "dandyhafter Kurpfuscher aus einem Fassbinder-Film" beschrieben wird. Eine wichtige Voraussetzung ist also geschaffen für eine trockene und sehr komplexe Materie: Der US-Rechtswissenschaftler Lawrence Douglas kann sehr anschaulich formulieren, der Leser profitiert nicht nur bei Personen- und Ortsbeschreibungen davon.

Der Fall des einstigen Rotarmisten Iwan Demjanjuk, der unter anderem während der NS-Zeit als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen Dienst tat und nach dem Krieg in die USA übersiedelte, beschäftigte die Justiz in drei Ländern über mehrere Jahrzehnte.

Lawrence Douglas: Späte Korrektur. Die Prozesse gegen John Demjanjuk. Aus dem Englischen von Felix Kurz. Wallstein-Verlag, Göttingen 2020. 297 Seiten, 38 Euro. E-Book: 29,99 Euro. (Foto: N/A)

Douglas, der als Jura-Professor am Amherst College in Massachusetts lehrt, folgt der "juristischen Odyssee" des gebürtigen Ukrainers von dem Tag an akribisch, an dem ihn ein Holocaust-Überlebender als Wachmann "Iwan, der Schreckliche" aus dem Vernichtungslager Treblinka zu erkennen glaubte. Die juristische Maschinerie der USA kam in dem Fall recht stockend in Gang, acht Jahre dauerte es, bis John (wie er sich nun nannte) Demjanjuk in Israel vor Gericht gestellt werden konnte.

Dort wurde er erst zum Tode verurteilt und später nach höchstrichterlichem Urteil freigesprochen - die Überlebenden hatten ihn schlicht verwechselt, Demjanjuk war nie in Treblinka gewesen.

Im Vergleich, wie unterschiedlich die USA, Israel und später Deutschland mit dem Fall Demjanjuk umgingen, was die jeweiligen Rechtssysteme zuließen und mit welcher Intention jeweils gehandelt wurde - darin liegt die Stärke dieses Buches, das ja immerhin neun Jahre nach dem Urteil des Landgerichts München erschienen ist.

Kurskorrektur, kein Paradigmenwechsel

2011 war der Angeklagte wegen seiner Tätigkeit in Sobibor zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden. Dass das Urteil nie rechtskräftig wurde, weil Demjanjuk kurz darauf starb, war dabei nicht so relevant. Bedeutender war vielmehr, dass in Deutschland nach mehr als vier Jahrzehnten endlich wieder vom Grundsatz, es müsse für jede Tätigkeit in einem Vernichtungslager ein individueller Tatnachweis geführt werden, abgewichen wurde. Douglas spricht von einer Kurskorrektur, nicht von einem Paradigmenwechsel.

Denn vor dem Frankfurter Auschwitzprozess 1963/65 waren solche Urteile gegen Fußsoldaten der Vernichtung üblich. Wie die Justiz von diesem Pfad abkam und - spät - wieder zurückfand, ist ein spannendes Lehrstück.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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