Debatte um Afghanistan-Einsatz:"Die Deutschen müssen selbst entscheiden"

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Der Bundestag entscheidet über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Nach Obamas Grundsatzrede fordern einige Abgeordnete mehr deutsches Engagement - aber nicht mit mehr Soldaten. In Washington gibt man sich geduldig: Keinesfalls wolle man die Kanzlerin drängen.

Die Abgeordneten des Bundestags werden am heutigen Nachmittag aller Voraussicht nach das Mandat für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr für ein Jahr verlängern. Nach der Grundsatzrede von US-Präsident Barack Obama, in der er die Entsendung von 30.000 zusätzlichen US-Soldaten angekündigt und auch mehr Engagement der Verbündeten gefordert hatte, wird über einen größeren deutschen Beitrag diskutiert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch in Afghanistan inmitten von Bundeswehr-Soldaten. (Foto: Foto: ddp)

Der frühere UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan und heutige Grünen-Abgeordnete Tom Koenigs fordert die Bundesregierung auf, deutlich mehr Polizeiausbilder nach Afghanistan zu schicken. Mehr Soldaten seien dagegen nicht erforderlich. Ihm habe schon 2007 anlässlich einer Verstärkung des Bundeswehr-Kontingents der afghanische Präsident Hamid Karsai gesagt, dass er lieber Polizeiausbilder als Soldaten im Land habe, sagte Koenigs der Berliner Zeitung. Die Linke meint ebenfalls, mehr Militär löse das Problem nicht.

Auch die FDP-Wehrexpertin Elke Hoff betonte in der Leipziger Volkszeitung, Deutschland müsse den zivilen Bereich in Afghanistan stärken und keine Debatten über Kampftruppen führen. Zu Berichten, die USA forderten von Deutschland 2000 zusätzliche Soldaten, sagte sie: "Dem Parlament und der Regierung liegt keine Anfrage nach zusätzlichen deutschen Truppen vor."

Angebot aus Bayern

Aus Bayern kommen ähnliche Aussagen: "Wir brauchen mehr Polizei in Afghanistan", sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im ZDF. Man werde heute darüber auf der Innenministerkonferenz in Bremen darüber sprechen. "Ich bin grundsätzlich bereit, aus Bayern noch mehr zu schicken." Es gebe auch genügend Freiwillige. 100 Meldungen lägen vor.

Möglich wäre die Aufstockung, weil die deutschen Polizeikräfte im Kosovo eher reduziert werden könnten, sagte er. Dort sei die Lage erfreulich stabil. Es sei wichtig, in den nächsten Jahren eine leistungsfähige Polizei in Afghanistan aufzubauen. Das diene der Sicherheit vor Terror in Deutschland.

Verschiedene Vertreter der US-Regierung bemühten sich, den Eindruck zu zerstreuen, Washington übe Druck auf Berlin aus. Die USA wollen keinen Druck auf Deutschland ausüben, mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Das sagte der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, dem Handelsblatt. "Die Bundeswehr hat schon mehr als 30 Soldaten in Afghanistan verloren, das ist historisch", sagte Holbrooke.

Verständnis für die Kanzlerin

Er habe daher Verständnis für die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mit einer Entscheidung über zusätzliche Truppen bis zur internationalen Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London zu warten. Die deutsche Präsenz im Norden Afghanistans sei extrem wichtig. "Es bleibt den Deutschen selbst überlassen, über das weitere Vorgehen zu entscheiden", betonte Holbrooke. Auch vom Treffen der Nato-Außenminister am Freitag in Brüssel erwarte er keine konkreten Zusagen. "Von unseren Alliierten erwarten wir keine Zahlen, sondern politische Zusagen", so Holbrooke.

Die Pentagon-Mitarbeiterin Julianne Smith sagte der Financial Times Deutschland, mit der Bundesregierung werde nur über Zahlen gesprochen, die aus Berlin genannt worden seien. Wie die Direktorin in der Abteilung für Europa- und Nato-Angelegenheiten des US-Verteidigungsministeriums weiter sagte, beruhten die Zahlen auf Schätzungen von Militärexperten der Bundesregierung. Danach wären 1000 bis 2500 zusätzliche Bundeswehrsoldaten einsatzfähig. Bei den Gesprächen zwischen Washington und Berlin gehe es jetzt lediglich um einen "Realitätscheck".

Holbrooke: Aufbauhilfe koordiniieren

US-Verteidigungsminister Robert Gates sagte in Washington, dass die Strategie im Dezember 2010 überprüft werde. Erst dann könne über einen Truppenrückzug entschieden werden.

Nach der Entscheidung für eine Truppenaufstockung will die US-Regierung auch die zivile Aufbauhilfe für Afghanistan neu organisieren. Die Anstrengungen zum Wiederaufbau des Landes seien zergliedert und müssten besser koordiniert werden, forderte der US-Sondergesandte Holbrooke. Mit seiner Kritik könnte der Diplomat die Spannungen zwischen der US-Regierung und den Vereinten Nationen über die zivilen Anstrengungen in Afghanistan erhöhen.

Die Fakten seien sehr einfach, erklärte Holbrooke in Brüssel: "Wir haben ein einheitliches militärisches Oberkommando, aber wir haben uneinheitliche internationale Bemühungen unter Teilnahme der UN, einzelner Länder, Hunderten, vielleicht Tausenden von Nichtregierungsorganisationen sowie anderen internationalen Institutionen." Er sei der Meinung, dass die zivilen Bemühungen besser koordiniert werden müssten.

Entscheidung über weitere Bundeswehr-Einsätze

Außer über das Afghanistan-Mandat entscheidet der Bundestag am heutigen Donnerstag auch über die Fortsetzung des unter dem Dach der Vereinten Nationen organisierten Unifil-Einsatzes vor der Küste Libanons und über die deutsche Beteiligung am US-geführten Anti-Terror-Einsatz am Horn von Afrika.

Im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" (OEF) sind dort derzeit 260 deutsche Soldaten stationiert. Die Opposition lehnt die OEF-Mission geschlossen ab. Auch die SPD, die in den vergangenen Jahren als Regierungspartei immer zugestimmt hatte, ist jetzt gegen eine Verlängerung des Mandats. Dem Einsatz fehlt aus ihrer Sicht die Legitimität.

© Reuters/dpa/AP/AFP/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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