Dänemark:Kopenhagen radelt nicht mehr so gern

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In Kopenhagen sind viele Fahrradfahrer unterwegs. Versteht offenbar nicht jeder. (Foto: Jochen Tack/imago images)

In Dänemark tritt selbst Kronprinz Frederik in die Pedale. Ausgerechnet jetzt platzt wie ein Dämpfer ein Bericht der Stadt Kopenhagen in die Fahrraddebatte.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die Demokratie ist in der Krise, die amerikanische sowieso. An Dystopien ist kein Mangel: Die einen warnen vor autoritärem Gehabe, das nach Putin riecht, die anderen vor Pfaden, die am Ende zu ungarischen Verhältnissen führen. Die frühere US-Diplomatin Carla Sands warnt vor Dänemark.

Sands - eine Großspenderin des Donald-Trump-Lagers - präsentierte auf Twitter die dänischen Zustände als Vision einer schaurigen Zukunft für die USA unter Big-Oil-Schreck Joe Biden: Die Dänen nämlich müssen Fahrrad fahren. Sands weiß das, weil sie bis 2021 Botschafterin in Dänemark war, entsandt von Trump persönlich.

"Ich kenne das", begann also düster mahnend der Tweet, den Sands am Freitag absetzte. "In Dänemark können Leute aus der Mittelschicht sich kein Auto leisten. Sie haben ein Fahrrad und" - Achtung - "für lange Strecken nehmen sie den Zug." Tatsächlich, informierte Sands ihre entgeisterten Leser, radelten die armen Dänen manchmal bis zu einer Stunde zur Arbeit. "Das ist die Zukunft, die Team Biden für Amerika will. Ist es das, was du willst?"

Die Dänen selbst waren zunächst fassungslos, dass da eine vier Jahre in ihrem Land verbracht hatte, ohne zu bemerken, dass Dänemark zu den Top Ten der reichsten Länder der Welt gehört. Vor allem aber: dass die Dänen gerne und freiwillig Fahrrad fahren. Weil es praktischer ist als das Auto und umweltfreundlich dazu.

Schnell ergoss sich, ebenfalls auf Twitter, Spott über Carla Sands. Viel geteilt wurde ein Foto von Kronprinz Frederik, der seine beiden Söhne im Lastenfahrrad kutschiert. Armes Dänemark, kommentierte der eine: "Nicht mal die Königsfamilie kann sich ein Auto leisten." "Wie traurig", schrieb ein Zweiter unter das Bild: "eine Mittelklassefamilie, die sich zu dritt ein Rad teilen muss."

Die Welle an Spott hält nach wie vor an und ist natürlich unterlegt von Stolz: Haben sie doch Kopenhagen zur Weltfahrradhauptstadt umgebaut. Ausgerechnet jetzt platzt wie ein Dämpfer ein Bericht der Stadt Kopenhagen in die Debatte: Völlig überraschend stellte die Stadt für vergangenes Jahr einen Einbruch im Fahrradenthusiasmus fest. 2021 hatten die Bürger demnach nur noch 21 Prozent aller Fahrten in Kopenhagen mit dem Rad erledigt - der niedrigste Stand seit 15 Jahren. Der ehrgeizigen Fahrradpolitik der Stadt, schrieb die Zeitung Berlingske, sei gerade "die Kette rausgesprungen". Ihre Arbeitswege legten die Kopenhagener laut Bericht zu 35 Prozent auf dem Rad zurück - weit entfernt vom Ziel, bis zum Jahr 2025 auf 50 Prozent zu kommen.

Nun rätseln die Kopenhagener: Hat Corona die Radler ausgebremst? Oder die vom Fahrradklub beklagte Tatsache, dass die toll ausgebauten Radwege mittlerweile "als Mülleimer" für alle möglichen Fortbewegungsmittel von Scootern bis zu Mopeds freigegeben wurden. Umweltbürgermeisterin Line Barfod fordert nun dringend höhere Investitionen, sonst drohe man wieder überholt zu werden vom ewigen Radl-Rivalen Amsterdam. Rückhalt dafür sollte es eigentlich geben: Das Jahr 2022 war vom Parlament offiziell zum "Jahr des Fahrrads" erklärt worden.

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