Corona-Impfstoff:Eine Frage des Alters

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In Middlesbrough in England wird eine Impfdosis mit dem Vakzin von Astra Zeneca vorbereitet. (Foto: Getty Images)

Ein drittes Corona-Vakzin ist nun europaweit zugelassen - dennoch geraten die Pläne der Bundesregierung durcheinander. Der Ruf, auch unter 65-Jährige schnell zu impfen, wird lauter.

Von Björn Finke, Brüssel, Nico Fried, Berlin, und Christina Berndt

Es könnte eine so gute Nachricht sein, gäbe es nicht all die großen Aber, die mit der Verkündung der Europäischen Arzneimittelagentur verbunden sind: Am Freitag empfahl die EMA die Zulassung des Corona-Impfstoffs des britisch-schwedischen Konzerns Astra Zeneca in Europa für alle Menschen über 18. Am Abend ließ die EU-Kommission ihn zu. Nun ist also ein dritter Impfstoff genehmigt, nach denen von Biontech und Moderna.

Doch als wäre die Sache mit den Corona-Impfungen in Deutschland und der EU bisher nicht schon schwierig genug verlaufen: Auch diese gute Nachricht ist wieder mit einigem Schmerz an der Einstichstelle verbunden. Denn nachdem zuvor schon Biontech und Moderna Lieferschwierigkeiten angekündigt hatten, hatte in der vergangenen Woche auch Astra Zeneca mitgeteilt, seinen vertraglichen Verpflichtungen nur eingeschränkt nachkommen zu können. Als Begründung führt der Konzern Probleme in einem belgischen Werk an. Er lehnt es bislang ab, die EU stattdessen aus britischen Fabriken zu versorgen. Doch die EU-Kommission veröffentlichte am Freitag den Vertrag mit dem Konzern. Auch wenn viele Passagen auf Wunsch des Unternehmens geschwärzt sind, geht aus dem Dokument hervor, dass der Konzern auch zwei britische Werke zur Belieferung der EU zu nutzen hat.

Und dann war am Donnerstag auch noch bekannt geworden, dass die am Robert-Koch-Institut angesiedelte Ständige Impfkommission (Stiko) den Impfstoff von Astra Zeneca nur für 18- bis 64-Jährige empfehlen will. Auch nach dem anderslautenden Votum der EMA blieb sie dabei. "Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren liegen bisher keine ausreichenden Daten vor", heißt es in der Impfempfehlung der Stiko. Tatsächlich ist die Studienlage zur Wirksamkeit des Astra-Zeneca-Impfstoffs für ältere Menschen dünn, das sieht auch die EMA so. Sie geht aber davon aus, dass eine Wirkung auch in dieser Altersgruppe zu erwarten sei, da eine Immunantwort nachweisbar sei.

Trotz aller unerwünschten Ereignisse rund um die dritte Impfstoffzulassung hielt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag an seinen Zielen fest: Man sei auf einem "guten Weg", sagte der Minister, der seit Wochen wegen des schleppenen Impfstarts unter Druck steht. Laut Spahn sind bisher 3,5 Millionen Impfdosen an die Bundesländer geliefert und 2,2 Millionen verimpft worden. 400 000 Menschen haben die zweite Impfung erhalten. Man rechne bis zum Ende des ersten Quartals mit zwölf Millionen Dosen der Impfstoffe von Biontech und Moderna. Dabei sei eine mögliche Mengensteigerung, die zuletzt von Biontech in Aussicht gestellt worden sei, noch nicht mitgerechnet.

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Von rund 800 000 Pflegeheimbewohnern sind laut Spahn 560 000 erstmals und 150 000 zweimal geimpft worden. Allen impfwilligen Heimbewohnern werde man bis Mitte Februar ein Angebot machen können, so Spahn. "Und das Ziel ist, darüberhinaus im ersten Quartal voraussichtlich allen über 80-Jährigen auch ein Impfangebot machen zu können." Damit wäre der größte Teil der Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Priorität abgedeckt.

Dass die Stiko den Astra-Zeneca-Impfstoff nur für unter 65-Jährige empfiehlt, ist aus Spahns Sicht kein großes Problem. Der Minister betonte, es gebe auch in der Gruppe mit der höchsten Impfpriorität zahlreiche Menschen unter 65 Jahren, die man mit dem Impfstoff von Astra Zeneca versorgen könne. Als Beispiele nannte Spahn Pflegepersonal und das Personal auf Intensivstationen. "Wir werden", so Spahn, den Impfstoff "sinnvoll nutzen können".

Forderungen nach einem Überdenken der Impfpläne gibt es dennoch von allen Seiten. Sie werden wohl auch beim Impfgipfel am Montag im Kanzleramt diskutiert werden, wo es allerdings vorrangig um die Frage geht, wie man schneller an mehr Impfstoff kommen könne. SPD-Chefin Saskia Esken sagte: "Wir müssen zum einen umgehend alternative Impfstoffe für über 65-Jährige beschaffen und zum anderen die Impf-Reihenfolge für den in Kürze eintreffenden Astra-Zeneca-Impfstoff neu koordinieren." Wie CSU-Chef Markus Söder forderte sie, dass Klinik- und Pflegepersonal als erste profitieren sollten, was aber nach der Impfverordnung ohnehin der Fall ist. Eine Veränderung der Strategie verlangte hingegen der nordrhein-westfälische Familienminister Joachim Stamp (FDP): Beschäftigte in Schulen und Kitas müssten Vorrang erhalten. So könne man schneller zum Regelbetrieb in den Schulen zurückkehren.

Der Gießener Juraprofessor Steffen Augsberg, der das Impfkonzept als Mitglied des Deutschen Ethikrats miterarbeitet hat, betonte, wie wichtig es sei, die Diskussion über Bevorzugung bei den Impfungen in der Öffentlichkeit zu führen. Dies gelte umso mehr in den weiteren Priorisierungsstufen, wo Polizisten ebenso wie Vorerkrankte und Supermarktkassierer zu finden seien, sagte Augsberg der SZ. Alter sei ein einfaches Messinstrument, um die Bedürftigkeit eines Menschen und sein Recht auf eine Vorzugsbehandlung festzumachen, so der Jurist, alle anderen Kriterien seien schwieriger zu vergleichen. "Es ist wichtig, offen zu sagen, dass es nicht die eine einzig richtige Lösung gibt - weder in ethischer noch in verfassungsrechtlicher Hinsicht."

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