Corona-Debatte im Bundestag:Bundestag lockert Schuldenbremse im Grundgesetz

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Im Bundestag wird zu Corona-Zeiten besonders viel desinfiziert. (Foto: REUTERS)
  • Zur Bekämpfung der Coronakrise hat der Bundestag am Mittwoch einem großen Rettungspaket für die deutsche Wirtschaft beschlossen. Die Abgeordneten stimmten einem Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro und den Rettungsschirm WSF im Volumen von 600 Milliarden Euro zu.
  • Dazu soll die Schuldenbremse des Grundgesetzes vorübergehend ausgesetzt werden.
  • Der Bundesrat muss noch zustimmen.

Der Bundestag hat mit sehr großer Mehrheit die Schuldenbremse im Grundgesetz gelockert, um ein Hilfspaket von Hunderten Milliarden Euro gegen die wirtschaftlichen Folgen der Virus-Krise zu finanzieren. Für die Ausnahme von der Schuldenbremse stimmten am Mittwoch 469 Abgeordnete, bei drei Gegenstimmen und 55 Enthaltungen, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble mitteilte.

Zuvor hatte der Bundestag bereits einem durch neue Schulden finanzierten Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro zugestimmt. Hinzu kommen mehrere Gesetze mit Milliardenhilfen für Firmen, Selbstständige, Beschäftigte, Eltern und Krankenhäuser. Den größten Anteil hat ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der auch staatliche Beteiligungen an Unternehmen sowie Garantien für Firmen ermöglicht. Für kleine Firmen und Selbstständige soll es direkte Zuschüsse im Höhe von insgesamt 50 Milliarden Euro geben. Dazu wird derzeit an einer Bund-Länder-Vereinbarung gearbeitet, das Geld soll über die Länder ausgezahlt werden.

In einer Sitzung unter nie da gewesenen Umständen stellte der Bundestag so die Weichen für die Rettung von Firmen und den Schutz der Menschen in der Corona-Krise. Das Parlament tagte unter strengen Gesundheitsvorkehrungen: Zwischen allen Abgeordneten blieben Sitze frei. Die Wahlurnen für namentliche Abstimmungen standen in der Lobby außerhalb des Plenarsaals, weil dort mehr Platz ist. Bis Ende September soll das Parlament beschlussfähig sein, wenn ein Viertel der Abgeordneten anwesend ist, sonst ist es die Hälfte. Das gilt auch für Abstimmungen in den Ausschüssen.

Die Hilfen zur Bewältigung der Corona-Pandemie waren am Montag im Kabinett beschlossen und im Schnellverfahren durch die parlamentarischen Beratungen gebracht worden. Sie sollen am Freitag vom Bundesrat verabschiedet werden.

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Darüber hinaus beschloss der Bundestag einstimmig ein Sozialpaket. Erleichterungen für Hartz IV und beim Kinderzuschlag sollen vielen Menschen besser durch die Corona-Krise helfen. So sollen die Jobcenter bei einem Hartz-IV-Antrag ein halbes Jahr lang auf die Prüfung des Vermögens der Betroffenen verzichten. Auch eine Prüfung der Höhe der Wohnungsmiete soll entfallen. Entsprechende Regelungen gelten für Senioren, die Grundsicherung brauchen, und Menschen mit Behinderungen.

Familien mit Einkommenseinbrüchen sollen leichter an den Kinderzuschlag kommen: Geprüft werden soll statt des Einkommens aus den letzten sechs Monaten nur das vom letzten Monat. Soziale Dienstleister wie Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Versorgungs- und Rehabilitationseinrichtungen, Einrichtungen der Arbeitsförderung und Anbieter von Sprachkursen sollen abgesichert werden.

Beschäftigte, die derzeit ihre Leistungen hier nicht erbringen können, sollen sich aktiv in die Bewältigung der Auswirkungen der Coronavirus-Krise einbringen. Sie sollen in der Pflege helfen, bei Einkäufen unterstützen, bei Arztbesuchen begleiten oder telefonisch beratend tätig sein. Die Leistungsträger sollen dafür ab sofort den Bestand der sozialen Dienstleister sicherstellen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble appellierte während der Sitzung mehrmals an die Abgeordneten, die Abstandsregeln einzuhalten. Er wies zudem auf die Leistung von Ärzten, Pflegekräften und Einzelhandelsmitarbeitern hin. Diesen Menschen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, spendeten die Abgeordneten langen Applaus.

  • Weil Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unter häuslicher Quarantäne steht, stellte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) die Pläne der Regierung vor. "Vor uns liegen harte Wochen - und doch: Wir können sie bewältigen", sagte der Finanzminister. "Wir erleben eine Krise, die in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Vorbild ist", sagte Scholz und betonte, für die Krisenbewältigung gebe es "kein Drehbuch".
  • Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, es sei "unser Ehrgeiz, dass vor dem 1. April die ersten Zahlungen bei den Unternehmen ankommen". Mit Krediten und Garantien für Firmen trage die Bundesregierung dazu bei, "dass die Pandemie am Ende nicht Strukturen zerstört, die über 70 Jahre gewachsen sind".
  • Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verwies darauf, dass viele Menschen den Auflagen Folge leisteten und zu Hause blieben. "Diese Disziplin und dieses Verantwortungsgefühl retten jetzt Leben", sagte er.
  • CDU-Haushälter Eckhardt Rehberg verteidigt die Aufgabe der schwarzen Null im Haushalt und die Ausnahme von der Schuldenbremse zur Finanzierung des Hilfspakets. Dieser Mechanismus sei vorgesehen für eine Notsituation, die vom Staat nicht verschuldet worden sei, sagt Rehberg vor den abschließenden Abstimmungen im Bundestag. Damit werde in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Wirtschaft das Nötige getan, "was jetzt in einem ersten Aufschlag zu tun ist".
  • CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bezifferte das Volumen des Hilfspakets der Bundesregierung auf etwa 1400 Milliarden Euro. Das sei in etwa die Gesamtsumme an Krediten, Garantien und Hilfen.
  • Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt appellierte an Solidarität und Zusammenhalt. "In dieser Zeit steht Kooperation vor Konkurrenz", sagte sie auf die Bundespolitik bezogen. "Ich bin ganz froh, dass Toilettenpapierkäufe und Hamsterei nicht mehr das Bild dieser Krise ausmachen", so Göring-Eckardt. Sie appellierte an die Bevölkerung: "Bleiben Sie zu Hause, bleiben Sie behütet, halten wir Abstand und halten wir zusammen."
  • Linken-Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte, die Eindämmung der Pandemie erfordere Grundrechtseinschränkungen, die man sich vor zwei Wochen nicht habe vorstellen können. Das sei notwendig, aber es müsse auch darauf geachtet werden, "dass nicht durch die Hintertür Grund- und Freiheitsrechte dauerhaft eingeschränkt werden". Sie warnte vor Handytracking, eingeschränkten Versammlungsrechten und der Aushebelung parlamentarischer Mitbestimmung.
  • FDP-Chef Christian Lindner erklärte, die Schlussfolgerung aus der Krise dürfe nicht Abschottung sein. Stattdessen sei die Pandemie eine "Menschheitsherausforderung", die nicht im nationalen Kontext gelöst werden könne, sondern ein Anlass, um über Multilateralismus und internationale Zusammenarbeit zu sprechen.
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