Coronavirus:"Wer soll denn die alten Menschen sonst versorgen?"

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Die Besuchsregeln für Angehörige sind in Pflegeheimen regional sehr verschieden. (Foto: dpa)
  • Durch Schulschließungen soll die Ausbreitung des Coronavirus in der Gesellschaft verhindert werden - vor allem, um die Alten zu schützen.
  • Aber oft springen Großeltern bei der Betreuung ein und sind deshalb noch mehr gefährdet.
  • Besonders Mediziner, Pfleger und Sanitäter stehen bei Betreuung und Quarantäne vor einem Problem. Sie werden auf der Arbeit besonders gebraucht.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Jüngsten sollen die Ältesten schützen - so kann man die Entscheidung der meisten Bundesländer erklären, von kommender Woche an Schulen und Kindergärten zu schließen. Denn das Coronavirus, das mittlerweile in ganz Deutschland grassiert, ist vor allem für alte und gesundheitlich geschwächte Menschen gefährlich. Für sie ist es wichtig, dass die Übertragung der Krankheit in der Bevölkerung verlangsamt wird. Damit Ärzte und Pfleger jedem Menschen, der in Zukunft an einer Lungenentzündung erkrankt, gut helfen können. Ihnen gilt im Augenblick die besondere Aufmerksamkeit der Mediziner und der Politik.

Viele Bundesländer erließen am Freitag neben den Schulschließungen auch gleich Besuchsverbote für Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen und Kliniken. Doch offenbar sind die Regeln für Angehörige regional sehr verschieden. Sie reichen von sehr strengen Verboten bis zu der Maßgabe: ein Besucher pro Tag. In besonders schwierigen Situationen, zum Beispiel, wenn ein Mensch im Sterben liegt, sollen Familien aber wohl ans Bett kommen dürfen. Schon in der vergangenen Woche hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu aufgerufen, in der kommenden Zeit die Großeltern besser anzurufen, statt sie zu besuchen. Auch der Appell der Kanzlerin, Sozialkontakte auf ein Minimum zu reduzieren, war unmissverständlich. Jetzt gilt es, Abstand zu halten.

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Doch so gut gemeint die Schulschließungen auch sind, so viele Fragen werfen sie auch auf, und zwar genau für die Menschen, um die es eigentlich gehen soll - die Alten und Hilfsbedürftigen. Das beginnt mit einem Problem, auf das auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) aufmerksam machte: "Häufig springen die Großeltern bei der Betreuung ein. Damit würden die Älteren gerade aber umso mehr gefährdet", sagte sie in einem Interview. Mütter und Väter stehen jetzt vor der Herausforderung, ihre Kinder zu betreuen und gleichzeitig ihre eigenen Eltern vor einer Ansteckung zu schützen. Das dürfte für viele Familien nicht einfach werden.

Besonders schwierig aber wird es für diejenigen, die in dieser Krise schon jetzt unter dem größten Druck stehen: die Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Wenn Pflegekräfte, Labormitarbeiter und Ärzte sich jetzt um Kinderbetreuung Gedanken machen müssen, statt Lungenkranken zu helfen, kann das zu einem fatalen Engpass führen. Viele Bundesländer haben zwar für die Kinder von Medizinern, Pflegern und Sanitätern eine Notbetreuung eingerichtet. Doch die Kriterien dafür sind meist sehr streng: Nur wenn beispielsweise eine Pflegerin alleinerziehend ist oder ihr Partner auch im Gesundheitswesen arbeitet, dürfen die Kinder weiter zur Schule gehen. Ansonsten muss der Partner aufpassen. Es ist eine Regelung, die jeder einzelnen Familie Kopfzerbrechen bereiten wird.

Quarantäne macht Pflegern große Sorgen

"Wir können es uns in der jetzigen Situation schlichtweg nicht leisten, Personal zu verlieren, das für die Behandlung von Patienten oder an anderer Stelle dringend gebraucht wird", sagt die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna. Genau diese Befürchtung hatte auch die Bundesregierung bislang von der Entscheidung abgehalten, den Kultusministern der Länder zu Schulschließungen zu raten. Nun wird sich zeigen müssen, ob die Sonderbetreuung den Mitarbeitern des Gesundheitswesens den Rücken freihalten kann.

Dabei sind die familiären Pflichten ihrer Angestellten noch längst nicht die einzige Hürde für Kliniken und Altenheime in Zeiten von Corona. Es ist besonders ein Szenario, das Pflegern zurzeit große Sorgen macht: die Quarantäne. Sollten Altenpfleger jetzt wegen eines Corona-Verdachtsfalls in ihrem Umfeld ausfallen, könnte das die Pflegeeinrichtungen in ernste Schwierigkeiten bringen. "Wir haben gar nicht so viele Leute, die diese Ausfälle auffangen könnten", sagt etwa Johannes Hermann, der in einem Dresdener Heim arbeitet: "Das kann ganz schnell solche Lücken reißen, dass die verbleibenden Kollegen dann rund um die Uhr arbeiten müssten" - mit entsprechenden Folgen für deren Gesundheit.

Bleiben die Pfleger zu Hause, ist die Gesundheit der Alten bedroht. Kommen sie zur Arbeit, ist sie es ebenfalls

Die Sprecherin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe geht schon jetzt davon aus, dass viele Heime Mitarbeiter, die Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, trotzdem einsetzen werden: "Wer soll denn die alten Menschen sonst versorgen?" Schließlich könne man zurzeit Pflegebedürftige auch nicht einfach in ein Krankenhaus schicken. "Sie müssen Betten für zu isolierende Corona-Patienten freimachen", meint sie. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sieht allerdings gerade die Kliniken als Ausweichmöglichkeit für Heime unter Quarantäne: "Im äußersten Fall müssen Pflegebedürftige ins Krankenhaus verlegt werden oder sie werden von anderen Trägern übernommen", sagt er. Ob Pflegekräfte, die "nur in der Nähe eines Infizierten" waren, weiterarbeiten dürfen, nennt er eine "individuelle Abwägung" - der Gesundheitsämter vor Ort. Wie so viele wichtige Entscheidungen in der Krise liegt auch diese eher bei den Bürgermeistern als beim Bund.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Coronavirus für die Pflegeheime, die schon zu normalen Zeiten unter Personalnot leiden, in ein Dilemma führen wird: Bleiben die Mitarbeiter wie empfohlen zu Hause, ist die Gesundheit der Alten bedroht. Kommen sie zur Arbeit und bringen womöglich das Virus mit, ist sie es ebenfalls.

Während sich nun also in ganz Deutschland die Schulen, Kongresshallen und Büros leeren, beginnt für das medizinische Personal ein Arbeiten unter Hochdruck. Und je höher die Arbeitsbelastung wird, das besorgt auch die Gewerkschaft Verdi, umso weniger Zeit bleibt für das Desinfizieren der Hände und Stationen. Es gilt, sie zu unterstützen. Mit Mundschutz und Desinfektionsmittel, auf das man selbst verzichtet, mit Kinderbetreuung und mit Verständnis. Denn sie sind es, die Großeltern und kranke Familienmitglieder jetzt vor dem Coronavirus schützen müssen.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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