Dass sich Politiker immer mal wieder über die Erkenntnisse der Wissenschaft hinwegsetzen, ist nichts Neues. Legendär war das Manöver von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), der auf dem Höhepunkt des Dieselskandals gut begründete Fahrverbote gegen die Schadstoffbelastung kurzerhand für überflüssig erklärte. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) stand ihm nur um wenig nach, als er kürzlich die Ständige Impfkommission (Stiko) als "ehrenamtliche Organisation" abtat.
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) ist nun noch einen Schritt weitergegangen. In einem Brief an die jungen Berliner zwischen zwölf und 17 Jahren empfiehlt sie, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Sozusagen an der Stiko vorbei, die eine Impfung für Menschen unter 18 Jahren bislang nur in Ausnahmefällen empfiehlt. Die Briefe sind nicht an die Eltern adressiert, sondern direkt an Hannah oder Esra, offenbar erhielten 180 000 Kinder diese Post.
Coronavirus:Wie gefährdet sind Kinder wirklich?
Während vielerorts immer weiter gelockert wird, ist das Leben der meisten Kinder weiter eingeschränkt. Welche aktuellen Erkenntnisse über ihr Erkrankungsrisiko gibt es? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
"Wir wollen eine Rückkehr zu einem weitgehend normalen Leben ermöglichen", schreibt Kalayci. "Dazu gehört auch ein Schulbetrieb mit möglichst wenigen Infektionen und Beschränkungen." Die Senatorin beschreibt weiter, "dass die hohen Impfquoten Leben retten", besonders bei "Euren Großeltern" - "Das war gut, ist aber noch nicht ausreichend!"
Das zurückhaltende Votum der Impfkommission wird in dem zweiseitigen Brief auf drei Zeilen erwähnt, dann fügt die Senatorin hinzu: "Zu den Nach- und Nebenwirkungen der Impfung wusste man zum Zeitpunkt der Empfehlung noch nicht so viel. (...) Inzwischen wurden ca. 10 Millionen Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren weltweit geimpft." Welche Aussagekraft diese Zahl für mögliche Nebenwirkungen hat, wird nicht erklärt. Unerwähnt bleibt auch, dass das Virus nach Erkenntnis der Stiko für Kinder und Jugendliche weit weniger gefährlich ist als für Erwachsene.
Dafür gibt es gleich die Webadresse und Telefonnummer, bei denen die Kinder einen Termin ausmachen können. "Unter 16 Jahren muss Dich ein gesetzlicher Vertreter zur Impfung begleiten", schränkt die Senatorin immerhin ein. Das wirkt auf all die Eltern, die dieses Anschreiben vielleicht als leicht übergriffig empfinden, sicherlich beruhigend.