EU-Gipfel:Fahrplan für den Aufschwung

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Normalerweise treffen sich die EU-Spitzen an großen, runden Tischen. Seit der Corona-Pandemie müssen es kleinere tun. (Foto: dpa)

Europas Staats und Regierungschef sind sich einig, dass die EU nach der Corona-Krise mit viel Geld wiederaufgebaut werden muss. Über eine wichtige Frage gibt es jedoch Streit.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Charles Michel weiß, wie viel noch zu tun ist. In der Einladung an die Staats- und Regierungschefs, die am Donnerstagnachmittag über die Bewältigung der Corona-Pandemie beraten, schreibt der EU-Ratspräsident: "Es ist meine Überzeugung, dass wir uns noch mehr anstrengen müssen, um die Meinungsunterschiede zu überwinden." Es ist bereits die vierte Videoschalte für die leaders, und Kompromissbereitschaft ist nötig, um die wirtschaftlichen Folgen in den Griff zu kriegen.

In Berlin deutete Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) Zustimmung zu einem umfangreichen EU-Wiederaufbaupaket an. "Wir haben uns im Grundsatz auf einen Recovery Fonds verständigt, der immer wieder mit einer Botschaft verbunden ist: Whatever it takes", sagte er. Zahlen nannte Roth nicht, aber der Verweis auf die letzte Finanzkrise spricht für große Summen. Am Montag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits eine deutliche Anhebung des EU-Haushalts für 2021 bis 2027 angeregt und sich offen gezeigt für Anleihen, die durch Garantien der Mitgliedstaaten abgesichert sind.

Italien deutet an, dass es von seiner Maximalposition abrücken könnt

Am Dienstagabend signalisierte Italiens Premier Giuseppe Conte, dass er seine Maximalposition in Bezug auf gemeinschaftliche Anleihen aufweichen könnte. Im Beharren auf die umstrittenen Corona-Bonds mit geteilter Haftung war Italien zunehmend isoliert. Wichtig sei, dass das nationale Wiederaufbauprogramm mindestens 75 Milliarden Euro umfasse, so Conte. Im Interview mit der SZ hatte er am Sonntag ein Veto nicht ausschließen wollen.

Das bisherige Hilfspaket der EU hat vier Teile - die ersten drei sind unstrittig. Es geht um jene Maßnahmen, welche die Finanzminister vor Ostern ausgehandelt haben, sie umfassen etwa eine halbe Billion Euro und sollen Anfang Juni einsatzbereit sein. Schwierig wird aber die Debatte um das Nachfolgeprogramm. Dabei wissen alle, dass ein zweites Unterstützungspaket nötig ist: etwa der von Staatsminister Roth erwähnte, befristete Wiederaufbaufonds, der Konjunkturprogramme unterstützen soll, wenn die Pandemie eingedämmt ist. Laut EU-Diplomaten ist klar, dass der Hilfstopf mit dem EU-Haushalt verknüpft sein soll. Michel will die Staats- und Regierungschefs diskutieren lassen und schlägt im Brief vor, die Kommission zu beauftragen, am 29. April einen Entwurf für den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 (MFR) zu präsentieren, der den Wiederaufbaufonds berücksichtigt. Erst wenn konkrete Zahlen vorliegen, beginnt das Ringen - und dann müssen die Positionen mehrerer Gruppen ausbalanciert werden.

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Als konsensfähige Lösung für die Einrichtung des Fonds gilt, dass die EU-Mitglieder der Kommission im neuen MFR erlauben, Schulden aufzunehmen. So könnte die Behörde von der Pandemie hart getroffene Staaten unterstützen. Für diese Schulden würde die Kommission mit ihrem Haushalt haften, also letztlich mit den künftigen Beitragszahlungen. Es gäbe keine gesamtschuldnerische Haftung wie bei Corona-Anleihen, sondern jeder Staat stünde nur mit seinem Anteil am Budget ein.

Zuschüsse oder Darlehen? Die "sparsamen Vier" wollen, dass später zurückgezahlt wird

Frankreich und Spanien, die anfangs mit Italien für Corona-Bonds kämpften, beschäftigt eine andere Frage: Soll der Fonds Zuschüsse oder Darlehen vergeben? Paris und Madrid verlangen Zuschüsse, da neue Darlehen hoch verschuldeten Staaten wenig bringen würden. Diese Vorstellung ist wiederum Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden ein Graus. Die sogenannten "Sparsamen Vier" fordern, dass der Hilfstopf sein Geld von den Empfängern später zurückerhält. Sonst werde die EU zur "Transferunion", wo im großen Stil von Reich zu Arm umverteilt werde. Als Kompromiss könnte der Fonds sowohl Zuschüsse als auch Darlehen auszahlen.

Eine weitere Gruppe bilden die Mittel- und Osteuropäer, die stark von Agrarsubventionen und Beihilfen für benachteiligte Regionen profitieren. Sie sind bisher gut durch die Pandemie gekommen und fürchten, dass die im MFR vorgesehenen Strukturhilfen durch Corona schrumpfen. Als sicher gilt, dass die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag kein Ergebnis erzielen und sich auf Zahlen einigen werden. Fragen, wie lange die Konferenz dauern und wann der nächste virtuelle Gipfel stattfinden könnte, weicht ein EU-Vertreter aus. Mit einer schnellen Lösung sei nicht zu rechnen, man hoffe auf Fortschritte bis Juni oder Juli: "Das wird seine Zeit brauchen." Die Forderungen für das Volumen des Wiederaufbaufonds liegen zwischen einer halben und anderthalb Billionen Euro. Der Einladung fügte Michel einen "Fahrplan für den Aufschwung" bei; die EU müsse "ihre Regeln und Arbeitsweisen" prüfen. Als Basis nennt er gemeinsame Werte wie Respekt für Menschenwürde und Rechtsstaat sowie die Wiederherstellung des Binnenmarkts. Und Michel betont, was unstrittig sein dürfte: "Die Covid-19-Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, unverzichtbare Güter in Europa zu produzieren, in strategische Warenketten zu investieren und die übermäßige Abhängigkeit von Drittländern in diesen Feldern abzubauen."

© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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