Europäische Union:Worum es im Disput um Hilfspakete und Coronaanleihen geht

French President Emmanuel Macron and Italian Prime Minister Giuseppe Conte shake hands at the end of a joint news conference at the Elysee Palace in Paris

Italiens Premier Giuseppe Conte (links) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werben vor dem EU-Gipfel für Coronaanleihen.

(Foto: Ludovic Marin/Pool via Reuters)

Am Donnerstag verhandeln die Staats- und Regierungschefs der EU über Hunderte Milliarden. Wo soll das Geld herkommen und wie wird es ausgezahlt? Ein Überblick.

Von Björn Finke, Brüssel

Vor dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag sparen die Befürworter von Corona-Anleihen nicht an dramatischen Worten: "Wir erleben den größten Schock seit dem letzten Krieg", sagte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte im SZ-Interview. Notwendig sei daher "die Ausgabe von gemeinsamen Anleihen". Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte bereits zuvor Finanztransfers gefordert, "damit Europa zusammenhält". Die Staats- und Regierungschefs sollen bei der Videoschalte dem Corona-Hilfspaket zustimmen, auf das sich ihre Finanzminister geeinigt haben. Und sie sollen über ein Nachfolgeprogramm diskutieren, das die umstrittenen Anleihen umfassen könnte. Ein Überblick:

Das erste Paket

Die EU-Finanzminister vereinbarten vor zwei Wochen ein Hilfspaket für klamme Staaten, das sich auf eine halbe Billion Euro addiert. Erstens soll die Europäische Investitionsbank (EIB) mit Bürgschaften 200 Milliarden Euro zusätzliche Darlehen für Mittelständler ermöglichen. Dafür müssen die Mitgliedstaaten 25 Milliarden Euro Garantien zur Verfügung stellen. Zweitens wird die EU-Kommission günstige Kredite gewähren, falls Ausgaben für Kurzarbeitergeld stark steigen. Es geht um bis zu 100 Milliarden Euro; auch hier müssen die Regierungen Garantien einbringen. Drittens bietet der Euro-Rettungsschirm ESM Kreditlinien von maximal 240 Milliarden Euro an. Länder können bis zu zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung als Darlehen reservieren lassen - für Italien wären das fast 40 Milliarden Euro.

Der Wiederaufbaufonds

Die halbe Billion Euro an zinsgünstigen Krediten werden nicht ausreichen, um Europas Wirtschaft nach der Pandemie wieder Schwung zu verleihen. Deshalb herrscht Konsens unter den Mitgliedstaaten, dass neben der vereinbarten Soforthilfe ein zweites Unterstützungspaket nötig ist. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni rechnet mit weiteren Kosten von einer Billion Euro; auch seine Chefin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sprach zuletzt von einem "Marshall-Plan" in Billionenhöhe. Mit dem Begriff bezog sie sich auf das Wiederaufbauprogramm der Amerikaner für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Finanzminister einigten sich auf den Titel "Wiederaufbaufonds".

Wo kommt das Geld her?

Der Fonds soll befristet sein und nur der Bekämpfung von Folgen der Pandemie dienen. Die anderen Details sind offen; über sie werden die Staats- und Regierungschefs diskutieren. Da geht es etwa um die Größe oder darum, ob der Topf Teil des Haushalts der EU-Kommission ist. Am umstrittensten ist jedoch, wie er gefüllt wird. Regierungen von Ländern wie Frankreich und Italien fordern die Ausgabe gemeinschaftlicher europäischer Anleihen. Zunächst wurden diese Schuldpapiere Corona-Bonds getauft, inzwischen ist meistens von Wiederaufbauanleihen die Rede.

Ungerecht verteilte Hilfe

Ungarn ist bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Ministerpräsident Viktor Orbán macht stattdessen Schlagzeilen mit Gesetzen, die Kritiker als Angriff auf die Demokratie ansehen. Trotzdem ist sein Land größter Profiteur eines EU-Hilfsprogramms namens "Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronakrise". Die Kommission beschloss im März, dafür aus den Strukturfonds, den Hilfstöpfen für benachteiligte Regionen, 37 Milliarden Euro freizugeben. Das Geld war noch übrig im laufenden Haushalt. Nach einer Studie der Organisation European Stability Initiative flossen davon 5,6 Milliarden Euro nach Ungarn, aber nur 2,3 Milliarden Euro nach Italien, obwohl das Land viel größer und stärker vom Virus betroffen ist. Der Grund: Die Verteilung richtete sich nach den Regeln für Strukturfonds. Neue Verteilungsschlüssel, welche die Corona-Krise widerspiegeln, existieren noch nicht. Einigen sich die Mitgliedstaaten auf einen Wiederaufbau-Fonds, wird dies einer der Streitpunkte sein. Björn Finke

Da auch finanzstarke Staaten wie Deutschland hinter den gemeinsamen Anleihen stünden, wäre die Risikoprämie, also der Zins, niedrig. Allerdings lehnen es Regierungen wie die deutsche und niederländische seit jeher ab, für Schulden anderer Staaten voll mitzuhaften. Bei solch einer gesamtschuldnerischen Haftung müssen Regierungen unbegrenzt einspringen, wenn ein Partner ausfällt. Diese Schulden-Vergemeinschaftung könnte dem Bundesverfassungsgericht zu weit gehen, da sie die Haushaltshoheit des Bundestags aushöhlt. Zudem könnte es viele Monate dauern, so einen Anleihentyp zu etablieren.

Der EU-Etat als Alternative

Um den Streit um Corona-Bonds zu entschärfen, bringt Kommissionspräsidentin von der Leyen den neuen siebenjährigen EU-Haushalt ins Spiel. Die Mitgliedstaaten haben sich noch nicht auf diesen Finanzrahmen für 2021 bis 2027 einigen können. Ein möglicher Ansatz: Die Regierungen erlauben der Behörde die Aufnahme von Hunderten Milliarden Euro an Darlehen. Der Geldsegen soll dann Konjunkturprogramme unterstützen. Für diese Schulden haftet die Kommission mit ihrem Haushalt, also letztlich den künftigen Beitragszahlungen der Länder. Aber es wäre keine gesamtschuldnerische Haftung wie bei Corona-Anleihen und damit - so das Kalkül - eher akzeptabel in Berlin und Den Haag.

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Wie wird das Geld ausgezahlt?

Heikel ist zudem die Frage nach dem Verteilungsschlüssel und danach, ob der Fonds Kredite oder Zuschüsse auszahlt. Bei Krediten hätten hoch verschuldete Staaten wie Italien wenig gewonnen. Sie müssten das Geld zurückzahlen, wenn auch zu sehr niedrigen Zinsen. Der Fonds würde sich nur wenig vom existierenden Euro-Rettungsschirm ESM unterscheiden. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagt daher, es müsse sich in jedem Fall um Zuschüsse handeln. Eine dritte Variante schwebt der EU-Kommission vor. Sie will mit dem Geld private Investoren anlocken und so die Konjunktur ankurbeln. Die Behörde könnte den Fonds für Ausfallbürgschaften nutzen, mit denen sie das Risiko übernimmt, dass Investitionen - etwa in Fabriken oder Windparks - schiefgehen. So lassen sich mit geringen Beträgen hohe Investitionen mobilisieren. Der Fachbegriff lautet "hebeln".

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