Einreisen aus China:Wie Corona erneut Europa entzweit

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Fiebermessen und Test- oder Impfnachweis vorzeigen: Spaniens Hauptstadt Madrid begrüßt Reisende aus China mit strengen Maßnahmen. (Foto: Pierre-Philippe Marcou/AFP)

Die Covidwelle in China ist nicht unter Kontrolle. Aber das Land öffnet die Grenzen - und die Europäische Union ringt um den Umgang mit Reisenden. Am Ende reicht es nur für Empfehlungen.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die Europäische Union hat sich zuletzt sehr darum bemüht, für den Umgang mit China eine einheitliche, klare Sprache zu finden. Es gab Strategiepapiere, es gab Debattenrunden auf höchster Ebene, aber ganz offensichtlich kein Ergebnis. Wie die europäische Chinapolitik in der Praxis aussieht, zeigt sich im Ringen um eine Antwort auf den unkontrollierten Corona-Ausbruch nach dem abrupten Ende der Lockdown-Politik in China.

Italien preschte mit Tests für Reisende aus China vor, Frankreich und Spanien zogen mit verschärften Einreiseregeln nach, und in verschiedenen Gremien versuchte die EU dann, nachträglich eine gemeinsame Linie hinzubiegen - kurz bevor am 8. Januar die chinesischen Grenzen wieder aufgehen.

Auch die USA, Australien, Japan, Großbritannien, Indien und andere Länder haben auf unterschiedliche Weise Beschränkungen für Reisende aus China verhängt. Mag auch umstritten sein, ob die Kontrollen wirklich helfen, eine Ausbreitung des Virus zu stoppen - sie setzten zumindest ein klares politisches Signal. Die EU jedoch debattierte und debattierte.

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Zunächst zeichnete sich, ehe Vertreter der 27 Mitgliedsländer im Rahmen des "Krisenreaktionsmechanismus" (IPCR) am Mittwochnachmittag zusammenkamen, eine schnelle Einigung ab. Doch das Treffen dauerte bis in den späten Abend - und endete lediglich mit "nachdrücklichen Empfehlungen", wie die schwedische Ratspräsidentschaft mitteilte. Die EU-Länder werden aufgefordert, für Reisende aus China in Richtung Europa vor der Abreise einen negativen Corona-Test vorzuschreiben, der nicht älter als 48 Stunden sein soll. Einig sei man sich auch darin, das Tragen einer medizinischen oder einer FFP2-Maske an Bord der Flugzeuge zu empfehlen, hieß es.

Zusätzlich zur Testpflicht wird empfohlen, die Suche nach neuen Virusvarianten zu verstärken. Reisende aus China sollen bei der Ankunft in der EU künftig stichprobenartig getestet, positive Proben sollen sequenziert werden. Zudem solle das Abwasser von Flugzeugen untersucht werden, die aus China ankommen.

Alle diese Maßnahmen sind für die einzelnen EU-Staaten nicht bindend, sie gelten lediglich als Leitschnur. Mitte des Monats sollen die Maßnahmen überprüft werden.

Karl Lauterbach hält Tests für unnötig. Die Italiener aber bleiben dabei

So funktioniert EU-Politik, ein Kompromiss um des Kompromisses willen. Wenn sich nicht alle 27 auf gemeinsame Regeln für China-Reisende verständigen, drohen Kontrollen an den innereuropäischen Grenzen wie zu Beginn der Pandemie, und das will niemand mehr. Aber eine europäische Lösung wie aus einem Guss ist der sich abzeichnende Kompromiss weder in politischer noch in fachlicher Hinsicht.

Als Lehre aus der Pandemie hat die EU eine "Gesundheitsunion" ausgerufen. Sie soll sicherstellen, dass Europa auf grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen gemeinsam reagiert. Kompetenzen, die vorher bei den Mitgliedsländern lagen, gehen an die gemeinsamen Institutionen über. Zu dem Zweck wurden mehrere Verordnungen verabschiedet und Organisationen gegründet, zum Beispiel ein "Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten" (ECDC). Und dieses ECDC teilte vergangene Woche mit: Es sei "nicht gerechtfertigt", alle China-Reisenden zu testen.

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Der Bundesgesundheitsminister warnt davor, dass XBB.1.5 besonders ansteckend sei. In den USA steigt die Zahl der Infektionen bereits. Auch die WHO beobachtet die Entwicklung mit Sorge.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, aufgrund des hohen Impfschutzes und der generell hohen Immunisierung innerhalb der EU würden China-Reisende keine wesentliche Gefahr für Europa darstellen. Das Infektionsgeschehen in Europa sei ohnehin hoch, aber erträglich wegen der vergleichsweise harmlosen Omikron-Variante, und in China würden derzeit keine anderen Virusvarianten kursieren als in Europa. Demnach käme es, bevor Regeln verschärft werden, erst einmal darauf an, nach möglicherweise gefährlicheren Virusmutationen aus China zu forschen. Und dazu braucht es nach Meinung des Gremiums keine flächendeckenden Tests auf europäischen Flughäfen.

Zu der Einschätzung kam auch der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der lediglich ein verschärftes "Varianten-Monitoring" forderte und keinen Bedarf für Kontrollen auf Flughäfen sah. Ähnlich äußerte sich der Europaabgeordnete Peter Liese von der CDU, Mediziner von Beruf und einer der führenden europäischen Gesundheitspolitiker. Die Gefahr, dass in China eine gefährliche Mutante des Virus entsteht, sei sehr gering, sagt er. Die Überwachung des Abwassers hält Liese für sinnvoll. "Das sollte aus meiner Sicht zurzeit genügen."

Österreich will auf chinesische Touristen nicht länger verzichten

Die italienische Regierung sieht das anders. Sie hat im Dezember begonnen, an den wichtigsten italienischen Flughäfen Reisende aus China zu testen und infizierte Passagiere in Quarantäne zu schicken. Die Zahl der Infizierten ist von Maschine zu Maschine stark schwankend, bei der Analyse der Proben wurden bislang offenbar ausschließlich in Europa bereits bekannte Formen von Omikron gefunden. Mindestens bis Ende Januar soll weiter getestet werden.

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Das Vorgehen der italienischen Regierung erscheint verständlich, erinnert man sich an die Verheerungen, die das Virus zu Beginn der Pandemie in dem Land angerichtet hat. Sie wollte ein politisches Signal der Stärke geben, es fand Nachahmung in Frankreich und Spanien. Aber umso deutlicher traten die Differenzen mit dem Rest Europas zutage.

In Österreich beispielsweise argumentiert man ganz offen mit der Bedeutung chinesischer Touristen für die heimische Wirtschaft. In dem bei Chinesen überaus beliebten Ort Hallstatt in Oberösterreich will die österreichische Regierung folgerichtig nun das Abwasser auf Virusvarianten untersuchen lassen.

Ob der Kompromiss mit Tests nur auf chinesischem Boden die Gemüter beruhigen würde, erscheint zweifelhaft. Der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, plädierte in einem Interview mit der Rheinischen Post gerade für eine europaweite PCR-Testpflicht für alle Reisenden aus der Volksrepublik.

Die chinesische Regierung wiederum droht mit Strafmaßnahmen, sollte die EU doch noch bindende Kontrollen für Reisende einführen. Auf das Angebot Brüssels, bei der Analyse der Virusvarianten zusammenzuarbeiten und kostenlos Impfstoffe nach China zu liefern, antwortete sie: Man brauche keine europäischen Vakzine.

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