Italiens Premier Conte:Zuhause ein Löwe

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Alle Augen auf Guiseppe Conte. (Foto: Francisco Seco/Pool/REUTERS)

Kein Land braucht einen Erfolg so wie Italien, Giuseppe Conte hat eine schwache Verhandlungsposition beim EU-Gipfel. In der heimischen Presse aber wird der Premier gefeiert.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn es denn einmal einen zentralen Moment zu bestimmen geben wird in der erstaunlichen Karriere von Giuseppe Conte, dem zufälligsten Premier der italienischen Geschichte, kommt dieser laute, rauflustige EU-Gipfel sicher in die engere Auswahl. Die römische Zeitung La Repubblica nennt ihn "Contes überlebenswichtigen Kampf".

Gemeint ist beides: überlebenswichtig für den Wiederaufbau Italiens und deshalb auch innenpolitisch entscheidend für den Premier selbst. In einem seiner nächtlichen Auftritte der vergangenen Tage sagte der parteilose Anwalt aus Süditalien, er könne nicht ohne Abkommen von diesem Gipfel nach Rom zurückkehren. Die Börsen wären unerbittlich, die rechte Opposition sowieso, sogar seine Bündnispartner würden ihn kritisieren.

Und so verfolgten die Italiener die Brüsseler Streitereien am Wochenende ganz nah. Um den Poker zwischen angeblich solidarischen und sogenannten frugalen Partnern der Europäischen Union greifbar zu machen, brauchten die Medien fast durchweg martialische Bilder. "Conte im Nahkampf", konnte man lesen, "Contes letzte Schlacht", "Conte im Schützengraben für Italien", "Conte im Guerillakampf", "Conte in einem Rodeo der Duelle und des Geschreis".

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:Weniger Geld, weniger Aussichten

Wenn der Corona-Hilfsfonds in Brüssel zustande kommt, wird er wohl kleiner ausfallen als Merkel und Macron wollen. Aber es gibt auch andere Entwicklungen, die Grund zur Sorge bereiten.

Kommentar von Björn Finke

Immer ging es dabei um das Duell zwischen Conte und Mark Rutte, dem niederländischen Premier, dem offensiven Vertreter der Sparsamen, den der sonst eher nüchterne Corriere della Sera einen "Mister Teflon" und "Opportunisten" nannte. Die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano, die den Cinque Stelle und Conte nahesteht, ging es spielerischer an und zeigte die zwei Protagonisten in Boxhandschuhen auf ihrer ersten Seite.

Natürlich gefiel Conte diese Darstellung als löwenhafter Kämpfer, er beförderte sie mit einer Direktschaltung auf Facebook, in der er zugab, dass die Verhandlungen viel schwieriger und härter seien, als er gedacht habe. "Wir krachen mit den Holländern zusammen", fügte er an.

Die Italiener sollten verstehen: Er kämpfe für Italien, man sei ein großes Land, es gebe rote Linien, die die Holländer nicht übertreten dürften, das lasse er nicht zu, die Italiener hätten ihre Würde. Der bestimmte Tonfall kommt gut an, genau wie sein entschlossenes Krisenmanagement in der ersten Phase der Pandemie.

Contes Zustimmungsrate steht noch immer bei etwa 60 Prozent. Nach einer neuen Studie von La Repubblica ist Conte sogar der beliebteste Premierminister der vergangenen 25 Jahre, und das mit Abstand.

Seine Verhandlungsposition auf dem Brüsseler Gipfel war allerdings von Beginn an schwach. Das hoch verschuldete Italien, das von Corona besonders früh und hart getroffen wurde und schnell die ganze Wirtschaft heruntergefahren hatte, braucht das Geld aus Brüssel. Und zwar viel. Und schnell. Und möglichst umsonst, ohne Rückerstattungspflicht also, weil im anderen Fall die bereits horrenden Verbindlichkeiten des Staates in noch exorbitantere Sphären katapultiert und die Zinsen weiter steigen würden. "Alle wissen, dass wir den Deal am meisten brauchen", sagte Conte nach den ersten Verhandlungstagen. "Und das ist ein Problem."

Immerhin konnte er auf prominente Unterstützung zählen, die großen Drei hielten sichtbar zusammen: Die italienische, die deutsche und die französische Delegation logierten im selben Hotel in Brüssel. Conte, Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trafen sich auch zweimal zum nachmitternächtlichen Umtrunk in der Hotelbar.

Beim ersten Mal begab es sich, dass Merkel gerade ihren 66. Geburtstag feierte. Macron brachte eine Flasche Wein, Conte einen italienischen Seidenschal. Auch diese Harmonie sollte nach Hause strahlen: Conte im Kreis der Großen. "Nach zwei Jahren an der Regierung ist er kein Novize mehr", schreibt der Corriere. "Conte stand immer im Zentrum der Gespräche, er war gut vorbereitet, bis in die Einzelheiten, effizient."

Und das ist keine Selbstverständlichkeit. Im ersten seiner beiden Jahre als Regierungschef war Conte ja mit Matteo Salvinis europafeindlichen rechten Lega verbündet, da suchte Rom oft Streit mit Brüssel und Berlin.

Seit dem Vorstoß von Macron und Merkel sind den Rechtspopulisten die Argumente ausgegangen

Nun hat es den Anschein, als sei Italien wieder gut integriert im Konzert der Europagestalter. Seit dem Vorstoß Merkels und Macrons für einen generösen Hilfstopf sind den Rechtspopulisten in Italien fürs Erste die Argumente ausgegangen. Darum wäre es eine Katastrophe für Conte, wenn das Versprechen auf eine Großgeste der EU, von der vor allem auch Italien profitieren soll, in sich zusammenfiele.

Am Montagabend sind von den ursprünglich vorgeschlagenen 500 Milliarden Euro noch 390 übrig. Ein paar Milliarden Euro weniger an Zuschüssen sollten verkraftbar sein, aber allzu viele hätten es nicht sein dürfen. Ein arg geschrumpfter Wiederaufbaufonds hätte nämlich auch die ideologisch schwer verortbaren Cinque Stelle, die Conte stützen, wohl in ihren Grundfesten erschüttert. Ihr wohl größter Flügel steht der EU skeptisch gegenüber. Contes Mehrheit im Senat, der kleinen Kammer des Parlaments, ist nur sehr dünn. Ein Luftstoß reicht, und der Premier stürzt.

Hält die Regierung jedoch zusammen und kann Giuseppe Conte sein Ringen in Brüssel den Bürgern als heroischen Kampf ums Maximum vermitteln, als schicksalhaften Moment in der Geschichte der Nation - ja, dann könnte das seine Position zusätzlich sogar noch stärken. Für eine ganze Weile.

© SZ vom 21.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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