Bundesregierung:Paus verteidigt sich im neuen Ampel-Streit

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Sind in der Ampel die Hauptkontrahenten der vergangenen Wochen: Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne). (Foto: Michelle Tantussi /Reuters)

Die Familienministerin blockiert Christian Lindners "Wachstumschancengesetz", das Steuererleichterungen für Unternehmen vorsieht - offenbar, um Zugeständnisse bei der Kindergrundsicherung zu erzwingen. Der Kanzler bleibt optimistisch.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Noch vor dem Ende der parlamentarischen Sommerpause ist die Ampel in ihre nächste Koalitionskrise geschlittert. Am Mittwoch verhinderte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) mit einem "Leitungsvorbehalt" die Zustimmung des Kabinetts zu einem Gesetz von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, mit dem dieser die schwächelnde Wirtschaft stärken will. Mit ihrer Blockade des "Wachstumschancengesetzes", das Entlastungen von knapp sechs Milliarden Euro für Unternehmen vorsieht, will sie dem Vernehmen nach Zugeständnisse bei der Kindergrundsicherung erzwingen.

"Deutschland braucht wieder Wachstum", sagte Lindner nach der Kabinettssitzung. Die strukturellen Bedingungen für die Wirtschaft müssten verbessert und Investitionen attraktiver werden. Es sei daher "bedauerlich", dass der Kabinettsbeschluss nicht möglich gewesen sei, trotz des Einvernehmens mit dem grünen Bundeswirtschaftsministerium. In der Tat hatte es dem Vernehmen nach zuvor eine Einigung mit dem Kanzleramt und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gegeben. Dieser hatte noch Änderungen in das Gesetz hineinverhandelt - unter anderem eine degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter. Weil SPD und Grüne zudem Vorbehalte gegenüber einigen besonders weitreichenden Entlastungsvorschlägen Lindners hatten, milderte das Finanzressort die Ursprungspläne an diesen Punkten ab.

Lindner plant mit zwei Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung. Paus will mehr

Dass Paus das Vorhaben nun aufgehalten hat - trotz der Zustimmung des grünen Vizekanzlers und ausgiebiger Last-Minute-Verhandlungen auf höchster Regierungsebene -, zeigt auch, dass es innerhalb der Grünen offenbar Differenzen gibt über den wirtschaftspolitischen Kurs. Aus Kreisen des Finanzministeriums hieß es am Mittwoch, dass "sachfremde Gründe" zu dem Leitungsvorbehalt geführt hätten, sprich: die Verknüpfung zur Kindergrundsicherung. Zu dieser hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor der Sommerpause verfügt, dass Paus bis Ende August einen Gesetzentwurf vorlegen solle - mit unterschiedlichen Varianten, was die Ausgestaltung angeht.

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Bislang hat Lindner im Finanzplan zwei Milliarden Euro jährlich für die Kindergrundsicherung veranschlagt. Paus will nach wie vor deutlich mehr Geld für ihr wichtigstes Projekt. Lindner aber verlangt für alles, was über die eingepreisten zwei Milliarden hinausgeht, eine Gegenfinanzierung. "Jede und jeder sollte wissen, dass alle sozialen Ausgaben ein starkes wirtschaftliches Fundament benötigen", sagte er am Mittwoch mit Blick auf den verhinderten Kabinettsbeschluss. Paus verteidigte sich indes gegen den Vorwurf, sie blockiere das Wachstumschancengesetz, um Lindner zum Entgegenkommen bei der Kindergrundsicherung zu zwingen. "Ich halte nichts davon, wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen oder höhere Verteidigungsausgaben gegen mehr Mittel für armutsbedrohte Familien auszuspielen", sagte Paus der Welt.

Im Zentrum des Wachstumschancengesetzes stehen Prämien für Unternehmen, die in klimafreundliche Technologien und Produktionsweisen investieren. Hinzu kommen diverse Steuererleichterungen, etwa durch eine bessere Verrechnung von Gewinnen mit Verlusten und eine großzügigere Forschungsförderung. Das Gesetz solle jetzt stattdessen Ende August auf der Kabinettsklausur in Meseberg beschlossen werden, hieß es aus Kreisen des Finanzministeriums. Man habe insbesondere die grünen Koalitionspartner gebeten, bis dahin "intern ihre Prioritäten zu klären" und dann eine gemeinsame grüne Position einzubringen. Auch Scholz zeigte sich am Mittwoch optimistisch, dass die Koalition das Wachstumschancengesetz "noch in diesem Monat" auf den Weg bringen werde.

Im Umfeld des Finanzministeriums geht man trotz der Blockade durch Paus nicht davon aus, in Meseberg Abstriche an dem Entwurf vornehmen zu müssen. Denkbar sei höchstens eine Ausweitung des Pakets, etwa mit einer Ausdehnung der Investitionsprämie auf Bereiche jenseits von Klimainvestitionen und eine stärkere Förderung des Wohnungsbaus.

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Während das Wachstumschancengesetz es am Mittwoch nicht auf die Tagesordnung des Kabinetts geschafft hat, wurden einige andere Ampel-Vorhaben beschlossen, darunter waren auch einige Gesetze aus dem Hause Lindner: Mit dem "Zukunftsfinanzierungsgesetz" etwa sollen die Bedingungen für Start-ups hierzulande verbessert werden; das "Haushaltsfinanzierungsgesetz" wiederum bündelt die notwendigen Gesetzesänderungen für einen schuldenbremsenkonformen Haushalt 2024. Darunter fallen beispielsweise die Erhöhung des nationalen CO₂-Preises, die Absenkung der Einkommensgrenze für den Elterngeldbezug oder ein geringerer Steuerzuschuss zur Rentenversicherung.

An diesem Paket hat das Kabinett kurzfristig noch eine weitreichende Änderung vorgenommen: Ursprünglich hatte der Entwurf auf Wunsch des Verteidigungsministeriums eine Regelung vorgesehen, mit der sich die Regierung sehr viel strikter als bisher an das Nato-Ziel gebunden hätte, jährlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Diese Formulierung wurde nun wieder gestrichen. Es bleibt somit dabei, dass das Nato-Ziel weiterhin nur im mehrjährigen Durchschnitt von höchstens fünf Jahren erreicht werden soll.

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