China Cables:Kritik verboten

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Alles wird kontrolliert: der Wachturm eines mutmaßlichen Internierungslagers in der Region Xinjiang. (Foto: Greg Baker/AFP)

Die anhaltende Unterdrückung der Minderheit der Uiguren durch China nimmt das Ausland nicht mehr tatenlos hin. Chinesische Politiker und Unternehmen werden mit Sanktionen belegt - die Führung in Peking antwortet mit PR-Kampagnen.

Von Lea Deuber, Peking, und Frederik Obermaier, Peking/München

Den Kampf gegen den Vorwurf, einen Genozid zu begehen, führt die chinesische Botschaft in Berlin auf Twitter: Es gebe viele "Mythen" und "Gerüchte" um die Region Xinjiang, mit der Wirklichkeit hätten sie aber wenig zu tun. Deshalb gebe es vom monatlichen Rundbrief der Botschaft jetzt eine "Sonderausgabe Xinjiang". Die zeigt schöne Landschaften, lächelnde Menschen und schwärmt von einem "Schmelztiegel der Kulturen". Botschafter Wu Ken schreibt im Grußwort, sein Land habe Terror erlebt. Und zwar eben in Xinjiang, im Nordwesten Chinas. Anders als Europa habe China das Problem aber in den Griff bekommen. Mit "Internaten" und "Deradikalisierungs- und Integrationsmaßnahmen".

Schon seit Jahren berichten Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren von willkürlichen Verhaftungen durch chinesische Behörden, auf Satellitenbildern sind in Xinjiang riesige Internierungslager zu sehen. Im November 2019 veröffentlichten rund 20 Medien weltweit, darunter die Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR, die sogenannten China Cables: vertrauliche Dokumente der Kommunistischen Partei Chinas, welche die geheimen Vorgaben für die massenhafte Internierung von Uiguren offenbaren. Die Recherche dokumentiert eine der größten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit. Etwa eine Million Menschen sollen in chinesischen Lagern gegen ihren Willen festgehalten werden.

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Australische Experten identifizierten mehr als 300 Lager und Gefängnisse, die seit 2017 errichtet oder ausgebaut wurden

Entsprechend laut war der Aufschrei in weiten Teilen der Welt: Die US-Regierung verhängte Sanktionen, die Bundesregierung zeigte sich "in größter Weise besorgt", etliche Länder forderten eine unabhängige Untersuchung durch die Vereinten Nationen. Mehrere Uiguren-Organisationen wurden sogar beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag vorstellig.

Die chinesische Regierung indes wiegelt ab. Auch ein Jahr nach den China-Cables-Veröffentlichungen, nachdem sich immer mehr Augenzeugen gemeldet und immer mehr interne Dokumente öffentlich wurden, lautet die zentrale Verteidigungslinie weiterhin: Es handle sich bei den Lagern um "Berufsbildungszentren", der Aufenthalt sei "freiwillig".

Indes tragen Forscher und Aktivisten weitere Beweise über das chinesische Lagersystem zusammen. Experten der australischen Denkfabrik Australian Strategic Policy Institute (ASPI) identifizierten zuletzt mithilfe von Satellitenaufnahmen und offiziellen Bauausschreibungen mehr als 300 Internierungslager, Haftlager und Gefängnisse, die seit 2017 errichtet oder ausgebaut wurden. Allein zwischen Juli 2019 und Juli 2020 seien "an mindestens 61 Lagern Neubau- oder Erweiterungsarbeiten" vorgenommen worden, heißt es in der im September veröffentlichten Untersuchung. Mindestens 14 weitere Einrichtungen seien noch im Bau.

Die Botschaft in Berlin spricht von "Lügen" und "Gerüchten", zugleich werden ausländische Journalisten an ihrer Arbeit gehindert

Die Corona-Krise hat die Entwicklung in Xinjiang also nicht gestoppt. Experten vermuten vielmehr, dass die Regierung die Ablenkung nutzt, um das Vorgehen zu systematisieren. ASPI-Forscher Nathan Ruser schreibt in dem Bericht, die verfügbaren Beweise deuteten darauf hin, dass "außergerichtliche Gefangene in Xinjiangs riesigem 'Umerziehungs'-Netzwerk nun formell angeklagt und in Einrichtungen mit höherer Sicherheit eingesperrt oder in ummauerte Fabrikgelände geschickt werden, um dort Zwangsarbeit zu verrichten". Dafür sprechen auch die Äußerungen von Xi Jinping bei einer Regierungskonferenz im September in Peking. Dort hatte der Parteichef das Vorgehen öffentlich als "völlig korrekt" bezeichnet und angeordnet, die Strategie langfristig beizubehalten.

Der Rundbrief der Botschaft aus Berlin zeigt, wie genau die chinesische Regierung indes die Kritik aus dem Ausland wahrnimmt. Sie betreibt viel Aufwand, um die Fakten in Zweifel zu ziehen. Auf 15 Seiten widerspricht die Botschaft Punkt für Punkt den Vorwürfen, bezeichnet sie als Missverständnisse, Irrtümer oder "Schmähkampagnen". Westliche Medien würden gezielt "Lügen, Widersprüche und Gerüchte" verbreiten. Unabhängige UN-Beobachter lässt China aber nicht nach Xinjiang. Ausländische Journalisten werden von den Behörden systematisch an ihrer Arbeit gehindert. Die Visadauer von Journalisten, die zu Xinjiang und den Uiguren recherchieren, wurden zuletzt in zahlreichen Fällen verkürzt.

Derzeit erwägen sowohl Großbritannien als auch Kanada Sanktionen gegen China. Der Umgang mit den Uiguren falle unter die Definition von Völkermord, kritisierte der kanadische UN-Botschafter Bob Rae jüngst und forderte eine Untersuchung des UN-Menschenrechtsrats. Die USA haben bereits im Oktober 2019 Strafmaßnahmen gegen Behörden und Firmen verhängt, die für die Internierung oder Zwangsarbeit von Uiguren verantwortlich sind. Auch einige chinesische Politiker dürfen seit diesem Jahr nicht mehr in die USA einreisen, weil sie an der Verfolgung muslimischer Minderheiten in der Region Xinjiang beteiligt sein sollen. Darunter ist der regionale Parteichef Chen Quanguo. Amerikanische Unternehmen, die in Xinjiang tätig sind, müssen nun sicherstellen, dass sie keine Teile verwenden, die durch Zwangsarbeit in den Arbeitslagern hergestellt werden.

Mehreren deutschen Abgeordneten, die sich kritisch äußerten, wurde die Einreise verweigert

Für Peking ist die globale Kritik am Umgang mit den Minderheiten zum ernsten Problem geworden. Ausländische Unternehmen wie Volkswagen, die in Xinjiang tätig sind, müssen sich kritische Fragen stellen lassen. Zuletzt gab es sogar Streit um den Disney-Film "Mulan", der zu großen Teilen in Xinjiang gedreht wurde.

Indes reagieren Pekings Diplomaten immer dünnhäutiger auf Kritik aus dem Ausland. Mehreren deutschen Parlamentariern, die sich kritisch geäußert haben, wurde die Einreise verweigert. Und nachdem der Menschenrechtsausschuss des Bundestags am vergangenen Mittwoch Xinjiang thematisiert hatte, forderte die chinesische Botschaft das Gremium auf, "aufzuhören, unter dem Deckmantel der Menschenrechte das China-Bild anzuschwärzen und sich in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen".

Ein Grund für die Aggression dürfte nicht nur Chinas angeschlagener Ruf sein. Parteichef Xi Jinping hat den Erfolg der Maßnahmen in Xinjiang unmittelbar mit seinem Namen verknüpft. Regimevertreter dürften deshalb angewiesen sein, jegliche Kritik daran zu ahnden. Wer die Unterdrückung der Uiguren anprangert, prangert demnach Xi Jinping direkt an - und das wird in China nicht mehr toleriert.

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