Geopolitischer Hotspot:China und die USA tänzeln um Taiwan

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"Wer mit dem Feuer spielt, wird darin umkommen", sagte Xi Jinping zu Joe Biden. Den Satz muss man zu verstehen wissen. (Foto: JONATHAN ERNST/REUTERS)

Die Spannungen zwischen den Großmächten waren selten größer. Nun telefonieren die Präsidenten Xi und Biden miteinander. Vordergründig geht es um die Insel - in Wahrheit um das Lebensziel des KP-Chefs.

Von Stefan Kornelius

Xi Jinpings außenpolitischer Radius war in den vergangenen Jahren nicht sehr weit gezogen. Der Parteichef, der einst die globale Wirtschaftselite in Davos bezirzte und ausgedehnte Freundschaftsreisen nach Afrika unternahm, ist seit der Pandemie in selbstgewählter Isolation verschwunden. Was für das Land gilt, muss auch für den Präsidenten gelten: strikte Abschottung.

Doch diese Politik forderte ihren Preis. Xi ist nicht mehr präsent, Chinas internationale Rolle ist in diesen Pandemiejahren geschrumpft, das fein gesponnene Netz von Abhängigkeiten in der Nachbarschaft ist zerrissen. Die Seidenstraßen-Initiative, eine Brücke für Chinas Exportambitionen, entpuppt sich als Verschuldungskatastrophe. Die gekaperten Staaten können ihre Ausstände nicht mehr bedienen. Und Chinas wichtigster außenpolitischer Hebel, die Exportstärke und der kaufkräftige eigene Markt, hat seine Wirkkraft verloren, nachdem Lieferketten zusammengebrochen sind und der Zugang zum Land limitiert wurde.

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Expertinnen, Journalistinnen und Aktivistinnen sind einer orchestrierten staatlichen Kampagne ausgesetzt, überwiegend im Internet, aber auch in der realen Welt. Die fast komplett männliche Führung sieht sie als Bedrohung für die politische Stabilität.

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Dabei war der wachsende Einfluss des Landes in der Welt zentraler Baustein der Aufstiegsstrategie Xis, mit der er die USA als globale Steuerungsinstanz ablösen wollte. Der Rückschlag war bei der Eröffnungsfeier zu den Olympischen Winterspielen in Peking schmerzlich zu spüren, wo sich lediglich eine Reihe von Autokraten die Ehre gab - angeführt von Russlands Präsident Wladimir Putin. Der hatte freilich seine eigene Ukraine-Agenda und nahm dankbar den Freundschaftsvertrag entgegen, den Xi ihm reichte.

Das war die außenpolitische Großtat, die Chinas Führung endgültig in die Isolation geführt hat. Für Xi ein Problem, denn bisher hat er keinen Hehl daraus gemacht, dass seine dritte Amtsperiode von November an den Stempel der Großmacht China tragen soll: Respekt in der Welt, militärische Stärke, die Herausforderung der westlichen Regierungsmodelle. Chinas Führung verlangt nach der Anerkennung, die mindestens zweihundert Jahre nicht gewährt wurde. Und die USA sind auch in der innerchinesischen Propaganda der Maßstab, an dem der Aufstieg zur Globalmacht Nummer eins gemessen werden soll.

Seit Jahrzehnten rührt niemand an Taiwans Schwebezustand

Allerdings liegt, geografisch betrachtet, die kleine Insel Taiwan zwischen China und den USA. Nach der chinesischen Selbstwahrnehmung, der Propaganda und dem schrillen Kommandoton der Führung wird sich Chinas Aufstieg zur Supermacht am Schicksal Taiwans entscheiden. Das macht die 36 000 Quadratkilometer große Insel 180 Kilometer von der südostchinesischen Provinz Fujian entfernt zum geopolitischen Hotspot - nicht nur, weil Taiwan der wichtigste Produktionsstandort für hochentwickelte Steuerungschips auf der Welt ist, sondern weil hier die alte und die neue Supermacht ihre Klingen kreuzen werden.

Taiwan bleibt ein völkerrechtliches Niemandsland. Die Insel wird zwar demokratisch und selbstverwaltet regiert, aber dennoch nicht als Staat anerkannt. Die Volksrepublik beansprucht das Territorium als Teil ihres Staatsgebiets. Die völkerrechtliche Praxis schreibt seit der Abspaltung der Insel und spätestens seit der legendären China-Reise des US-Präsidenten Richard Nixon vor 50 Jahren eine andere Wahrheit: Niemand rührt an diesem Schwebezustand, eine Entscheidung wird nicht getroffen. Weder kommt es zu einer Machtübernahme aus Peking, noch zu einer Anerkennung der Staatlichkeit.

Xis Plan: Die bald beginnende dritte Herrschaftsperiode wird zur Taiwan-Phase. Spätestens 2027, am Ende des nächsten Fünf-Jahres-Herrschaftszyklus, soll der Stachel aus Chinas Fleisch gezogen sein. Ende der 2020er-Jahre, so sagen Militärexperten, werden Chinas Streitkräfte die Fähigkeiten entwickelt haben, die Insel militärisch einzunehmen. Am 1. August 2027 jährt sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee durch Mao Zedong zum hundertsten Mal. Dann muss die Entscheidung fallen.

Demonstration der Wehrhaftigkeit: Eine taiwanische Fregatte feuert diese Woche eine Luftabwehrrakete vor der Ostküste der Insel ab. (Foto: Huizhong Wu/AP)

Einerseits. Andererseits hat US-Präsident Joe Biden am Donnerstag zum Telefon gegriffen und zwei Stunden und 17 Minuten lang mit Xi telefoniert. Das fünfte Gespräch seit Bidens Amtsantritt, das erste seit März - an Statistik mangelt es nicht, an Inhalten schon.

Bemerkenswert ist, dass die beiden Präsidenten überhaupt miteinander gesprochen haben. Die wichtigste Botschaft des Telefonats war laut Weißem Haus, dass ein vertraulicher Gesprächskontakt in Krisenzeiten existiere. Vorausgegangen waren Treffen der Finanzminister, der Außenminister. Man nähert sich an, nach einer langen Phase der Sprachlosigkeit. China selbst gibt sich offener. Australien wurde nach dem Regierungswechsel im Mai von der Liste der verfemten Staaten genommen. Auch in Deutschland wird mehr Kommunikationsbedarf registriert. Xi scheint zu verstehen, dass die Selbstisolierung schadet.

Pelosis Pläne bringen die USA in eine Zwickmühle

Das Gespräch mit Biden hat freilich einen akuten, wenn nicht dramatischen Anlass: Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, möchte nach Taiwan reisen. Die Ankündigung hat, gelinde gesagt, Panik in Peking und im regierungsamtlichen Washington ausgelöst. Pelosi ist nach der US-Verfassung in der Präsidentschaftsfolge die Nummer drei, nach dem Vizepräsidenten. Ihre Ankunft in Taipeh wäre ein politischer Akt. Präsident Biden ist nicht sehr begeistert. Aber nun haben sich die USA in die Zwickmühle gebracht: Fährt Pelosi nicht, triumphiert Peking. Fährt sie doch, riskiert sie politische, wenn nicht gar militärische Scharmützel.

Über das Gespräch der Präsidenten zu diesem Thema schweigen sich beide Seiten aus. Sicher ist nur: Xis dritte Amtszeit, Chinas Ambitionen und die Schutzgarantie der USA zu Taiwan stehen plötzlich im Feuer. Taiwan wird zur Ukraine im Pazifik. Immerhin: Noch reden die Präsidenten miteinander.

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