Deutschland und China:Was halten Experten von der China-Strategie?

Lesezeit: 3 min

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) haben lange um eine neue Strategie gerungen. (Foto: Florian Gaertner/Imago)

Angesichts des langen Streits zwischen Kanzleramt und Außenministerium stehen in dem Konzept der Regierung nun erstaunlich deutliche Formulierungen. Aber es gibt auch Kritik.

Von Kai Strittmatter

Oft angekündigt, hart umkämpft, mehrfach verschoben: Jetzt ist sie da, die China-Strategie der Bundesregierung. Die Erwartungen waren am Schluss nicht mehr allzu groß. Zu stark schien vor allem der Widerstand des ums China-Geschäft besorgten Kanzleramtes gegen das grün geführte Außenministerium zu sein, das die neue Sorge um die systemische Rivalität zu China umsetzen wollte in klarere Worte und härtere Regeln, um strategische Abhängigkeiten von China abzubauen.

Daran gemessen ist die Reaktion im Lager unabhängiger China-Experten nun verhalten wohlwollend. Einer spricht von einem "Seufzer der Erleichterung", der am Donnerstag zu hören gewesen sei, als Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin das Papier vorstellte. Allein die Tatsache, dass sie es bei der China-Denkfabrik Merics tat, war ein Zeichen: Merics wird von China mit Sanktionen belegt.

Nach den deutsch-chinesischen Konsultationen waren viele Experten besorgt

Die Inszenierung der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen im vergangenen Monat hatte Befürchtungen geweckt. Das Auftreten des chinesischen Kabinetts in Berlin und München hinterließ den Eindruck, als hätten die Gäste den Gastgebern das Heft aus der Hand genommen: Chinas Premier Li Qiang versuchte nicht nur offen, die deutschen Unternehmer gegen ihre eigene Regierung in Stellung zu bringen, das Kanzleramt ließ sich gar auf die Forderung der Chinesen ein, die Pressekonferenz zu streichen.

Und dann schien Kanzler Olaf Scholz (SPD) noch der Anregung Li Qiangs beizupflichten, wonach der Staat die viel zitierte Risikominderung, das De-Risking, doch am besten den Firmen selbst zu überlassen habe. Scholz scheine die Lehren aus Russlands Ukraine-Einmarsch "nicht verstanden" zu haben, schrieb hernach Noah Barkin, der für die Rhodium Group in Berlin das europäisch-chinesische Verhältnis beobachtet.

"Wenn die Regierungskonsultationen ein Schritt zurück waren", sagt Janka Oertel vom European Council on Foreign Relations (ECFR), "dann ist die China-Strategie nun von dort aus wieder zwei Schritte nach vorne." Macht netto, immerhin, einen Schritt. Anders als bei vergleichbaren Papieren der USA nehmen die großen Themen Menschenrechte und Geostrategie kaum Raum ein. Auch zum nötigen europäischen Konsens hat das Papier nicht viel beizutragen. Es sei eben die China-Strategie eines wirtschaftlich mit China eng verflochtenen Staates, meint Oertel. "Deshalb ist da die Wirtschaftssicherheit Dreh- und Angelpunkt: Wie schützen wir uns? Wie stärken wir uns?"

Tatsächlich findet man in dem Papier aber nicht nur eine überraschend deutliche Beschreibung der systemischen Rivalität zu China und welche Herausforderung das für die Demokratie in Deutschland bedeutet - es finden sich dort auch klare Sätze wie der zur Exportkontrolle, wonach deutscher Handel weder Menschenrechtsverletzungen noch "der weiteren militärischen Aufrüstung" Chinas dienen dürfe. Beim Thema Investment-Screening wird der Schutz der kritischen Infrastruktur etwa in der Telekommunikation betont - hilfreich für die weitere Debatte über in Deutschland verbaute Huawei-Technik.

Auf De-Risking scheinen sich alle einigen zu können - aber was heißt das eigentlich?

Einen "großen Fortschritt" sieht deshalb auch Merics-Chef Mikko Huotari: "Das verschiebt den Konsenskorridor." Die große Frage nun sei: "Wie steht es um die Implementierung?" Auf das Wort De-Risking können sich alle einigen. Aber jeder scheint es anders zu definieren. Und bislang ist vor allem von Appellen an die deutsche Industrie die Rede, aber nicht von institutionellen, strukturellen Regeln, die der Staat vorgibt. "Das ist die zentrale Schwäche bei dem Begriff", sagt Huotari. "Das wird es nun zu beobachten gelten: Ob die Taten der Regierung mit den Worten Schritt halten."

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Die deutsche Regierung habe zuletzt die europäischen Partner, aber auch Washington mit "gemischten Botschaften" zu China irritiert, sagt China-Experte Noah Barkin: "Die China-Strategie schafft da etwas Klarheit." Gleichzeitig fehlt auch ihm mehr Entschlossenheit von staatlicher Seite der Wirtschaft gegenüber. Die Investitionszahlen zeigten klar: "Viele deutsche Unternehmen verstärken gerade ihr Engagement in China." Am Ende stelle sich die Frage: "Ist die deutsche Regierung bereit, einen wirtschaftlichen Preis zu zahlen für größere Sicherheit?" Viele Entscheidungen von Kanzler Scholz deuteten in die andere Richtung. Es bleibe auch nach der Veröffentlichung der China-Strategie der Verdacht, sagt Noah Barkin, "dass Teile der deutschen Regierung ihren Kuchen nicht nur essen, sondern gleichzeitig auch behalten wollen."

Wenn eines sicher sei, so Janka Oertel, dann dies: "Das ist nur ein Startpunkt, kein Zielpunkt." Der Auftakt für weiteres Ringen. Aber immerhin, so Oertel: "Ein Pflock ist eingeschlagen. Hinter dieses Papier können wir nur schwer zurückfallen - nicht in Deutschland und nicht in Europa." Kurzes Aufatmen also.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDeutsch-chinesische Beziehungen
:Vorsichtiges Abrücken von Peking

Die Bundesregierung hat nach langem Streit ihre erste China-Strategie verabschiedet. Darin skizziert sie ein vorsichtiges Abrücken von dem großen Handelspartner - und sendet deutschen Unternehmen eine klare Botschaft.

Von Nicolas Richter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: