70 Jahre Volksrepublik China:Waffen statt Träume

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Planes from the Chinese People's Liberation Army air force fly during a rehearsal of the military parade in Beijing

Militärflugzeuge der Chinesischen Volksbefreiungsarmee während einer Probe zur Parade anlässlich des 70. Jahrestages der Volksrepublik China.

(Foto: REUTERS)

Zum Jahrestag präsentiert Chinas Führung das Land als kraftstrotzend und anderen überlegen. Hinter dieser Fassade aber schwindet der Glaube vieler Bürger an eine bessere Zukunft.

Von Lea Deuber, Peking

Pekings Zentrum ist bereits abgesperrt. Über der Verbotenen Stadt donnern die Kampfflugzeuge. Und die Staatspresse verspricht auf den Titelseiten "Waffen, Waffen und noch mehr Waffen". China bereitet sich auf seinen Nationalfeiertag am kommenden Dienstag vor. Im Anschluss an die größte Militärparade in der Geschichte des Landes wird Präsident Xi Jinping eine Rede an die Nation halten. Die Feiern sollen eine Machtdemonstration werden. Größer als alles, was das Land je gesehen hat. Die ganze Welt soll staunen, wie weit es China gebracht hat, seit Mao Zedong vor 70 Jahren am Platz des Himmlischen Friedens die Volksrepublik ausrief.

Präsident Xi Jinping wird den Aufstieg des Landes nicht den Menschen zuschreiben, sondern der Partei. Die historischen Errungenschaften der letzten 70 Jahre zeigten, dass nur die KP China führen könne, sagte Xi Anfang der Woche. Er ist auch Generalsekretär der Kommunistischen Partei, das ist seine wichtigste Rolle. Für das Glück des chinesischen Volkes und den chinesischen Wiederaufstieg zu einer Weltmacht lebe die große KP zehntausend Jahre, propagiert die Partei auf roten Schriftbändern, die sie im ganzen Land hat aufhängen lassen. Ohne die KP kein China. Doch egal, wie viele Raketen und Panzer Präsident Xi am Dienstag auffahren lässt, diese Fassade der Stärke kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr die großen Probleme das Land auszehren. Präsident Xi Jinping hat es seit seinem Amtsantritt 2013 nicht geschafft, China einer Lösung näherzubringen. Dafür pocht er auf den alleinigen Führungsanspruch der KP, hat viele Entscheidungsprozesse wieder zentralisiert, hierarchischer gemacht und die kollektive Führerschaft für seine eigene Machtfülle geopfert. Das erhöht die Gefahr für weitere Fehler.

Inzwischen säumen das Land weitestgehend ungenutzte Bahnhöfe und Autobahnen

Die wirtschaftliche Bilanz der vergangenen Jahrzehnte ist ohne Zweifel beeindruckend. 800 Millionen Menschen sind der Armut entkommen. Jahrelang wuchs die Wirtschaft im zweistelligen Bereich. Allein seit 2008 hat sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf mehr als verdoppelt. Heute ist China die zweitgrößte Wirtschaft der Welt. Kaum ein Land hat sich in so kurzer Zeit so rasant verändert wie die Volksrepublik. Das chinesische Wirtschaftswunder wurde von einer Mischung aus verschiedenen Faktoren getrieben. Dazu gehörten die junge und große Arbeiterschaft, gewaltige Infrastrukturprojekte, die Verstädterung, Marktreformen und die Globalisierung. Das Problem für Chinas Wirtschaft heute aber ist: Auf keinen dieser Faktoren kann sich das Land in Zukunft verlassen.

Ein Beispiel ist die demografische Entwicklung im Land. Diese fällt durch die langjährige Ein-Kind-Politik deutlich dramatischer aus als in Japan in den 1990er- Jahren, das damals in die Rezession rutschte. In China leben fast 1,4 Milliarden Einwohner, aber es hat eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Der Lebensstil vieler Chinesen hat sich gewandelt. Zwei Kinder können sich viele Paare nicht leisten, obwohl sie inzwischen erlaubt sind. Selbst wenn die Regierung es schaffte, die Geburtenrate zu stabilisieren, leben in China schon 2050 rechnerisch nur noch eine Milliarde, 2100 nur noch 480 Millionen Menschen - weniger als heute in der EU. Derzeit kommen auf jeden Rentner sieben Arbeiter. Bereits in 30 Jahren werden es nicht einmal mehr zwei sein. Auch das investitionsgetriebene Wachstumsmodell stößt an seine Grenze. Anfangs hatte das Land großes Entwicklungspotenzial. Inzwischen investiert die Regierung, um die Konjunktur am Laufen zu halten. Allein während der Finanzkrise stellte Peking dafür 500 Milliarden Dollar zur Verfügung. Heute säumen das Land weitestgehend ungenutzte Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen.

Der Kurs des machthungrigen Präsidenten Xi Jinping provoziert auch im Ausland

Ökonomen fordern seit Langem radikalere Wirtschaftsreformen. Die Regierung müsste den Markt weiter öffnen, Staatsunternehmen verschlanken und den Rest der Wirtschaft privatisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Als Präsident Xi an die Macht kam, setzten viele ihre Hoffnung in ihn. Er galt als Reformer. Doch es kam anders. Seit seinem Amtsantritt hat er die Position von Staatsunternehmen noch gestärkt und den Einfluss der Partei auf Privatfirmen ausgeweitet. Im Wettbewerb mit staatlichen Akteuren ziehen sie immer häufiger den Kürzeren, bekommen keine Kredite oder Lizenzen, brauchen die Zustimmung der Partei für neue Investitionen. Sie sollen zudem Teil des Sozialkreditsystems werden, mit dem die Partei Fehlverhalten bestrafen will.

15 000 Soldaten

sollen für die Militärparade zum Geburtstag der Volksrepublik am 1. Oktober aufmarschieren. Chinas Staatsrat zufolge soll die Heerschau noch gewaltiger ausfallen als die letzte Militärparade in Peking 2015, der bis dahin größten in der Geschichte der Volksrepublik. Zudem will die KP Panzer, Flugzeuge, Interkontinentalraketen und weitere modernen Waffensysteme vorführen, darunter solche, die bisher noch nicht öffentlich zu sehen waren. SZ

Einerseits soll China also von der Vitalität der Privatwirtschaft profitieren. Anderseits unterwirft Hardliner Xi alles der Kontrolle der Partei. Das Wirtschaftswachstum dürfte 2020 auf unter sechs Prozent rutschen. Analysten gehen davon aus, dass es sogar zu einer Rezession kommen könnte. Selbst mit fast sechs Prozent würde China die von Präsident Xi ausgegebene Wachstumsrate zum 100. Geburtstag der KP in zwei Jahren verfehlen.

Xi revidiert viele Reformen, die Deng Xiaoping einst anstieß, um das Land vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Mit der Re-Ideologisierung gibt der Parteichef die ideologische Flexibilität und den parteipolitischen Pragmatismus auf, den Deng in Chinas Politik zurückbrachte.

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