Nordwestdeutschland:Wo CDU und SPD noch Volksparteien sind

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Hinter den Deichen von Ostfriesland - hier bei Emden - erreichen die Sozialdemokraten immer noch viele Wähler. (Foto: Roland T. Frank/mauritius images)

Tiefschwarz in Cloppenburg und Vechta, knallrot in Emden und Aurich: Im Nordwesten Deutschlands erreichen Schwarz und Rot immer noch beeindruckende Wahlergebnisse. Ein Besuch.

Von Peter Burghardt, Vechta/Emden

Bei der CDU in Vechta begrüßt einen als Erstes Konrad Adenauer. Er lehnt als Pappkamerad im Treppenhaus und wacht im Büro von Kreisgeschäftsführer Walter Goda an der Wand. Der Bundeskanzler Adenauer war auch mal leibhaftig in diesem Gebäude, dem ehemaligen Kaiserlichen Postamt, damals bekam die Union in Vechta noch um die 80 Prozent. Sie war hier, in ihrer niedersächsischen Bastion, fast immer stärker als überall sonst in Deutschland. "Das ist nach wie vor so", sagt Goda, "aber die Wahlergebnisse fallen nicht vom Himmel."

Die Frage, ob die Volksparteien noch Volksparteien sind, ist in dieser niedersächsischen Region mit ihren Feldern, Großschlachtereien und Kunststofffabriken jedenfalls nach wie vor eindeutig mit Ja zu beantworten. "Jammer mir nichts vor", steht auf einer Kaffeekanne auf Godas Schreibtisch. "Ich habe CDU gewählt." Bei der Bundestagswahl 2017 haben im Wahlkreis Cloppenburg-Vechta mit ihrer Zweitstimme 53,1 Prozent der Wähler für die CDU gestimmt - es war das beste Ergebnis in der Republik und Gegenstück zu Berlins Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg (13,9 Prozent). Bei der Landtagswahl erhielt die CDU in Vechta dann 57,5 Prozent, im Kreistag hat sie Zweidrittelmehrheit.

Auf den farbigen Landkarten mit den Analysen der Stimmverteilung ist diese Gegend stets tiefschwarz, schwärzer noch als derzeit leicht entfärbte CSU-Reviere in Bayern. Und man muss nur ein Stück weiter links oben schauen oder knapp zwei Stunden durch flaches Land fahren, dann ist man in der knallroten Zone der Nation - dort, wo die SPD noch Volkspartei ist. Denn in Aurich-Emden an der Küste hatten die Genossen bei der Bundestagswahl 37,8 Prozent und in Niedersachsen 49,4 Prozent, ein Jahr ist es erst her.

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Im Oldenburger Land und in Ostfriesland also liegen mehr oder weniger nebeneinander die schwarzen und roten Hochburgen der deutschen Politik. Wie kam das? Und werden die Farben auch dort blasser, seit CDU und SPD anderswo nahezu parallel abstürzen?

Man kann ja unterhalb von Schleswig-Holstein den ganzen Norden Deutschlands durchqueren, von der polnischen bis zur holländischen Grenze, ohne SPD-Terrain zu verlassen. Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, alles rot-grün oder rot-schwarz regiert. Dazwischen: das pechschwarze Vechta. In der etwas versteckten CDU-Zentrale in der Einkaufsstraße empfangen außer einem stummen Adenauer und einem gesprächigen Statthalter Goda auch alte Plakate. "Auf in die Zukunft, aber nicht auf roten Socken" steht da. Oder: "Mit Optimismus gegen Sozialismus". Parolen aus einer einfacher gestrickten Welt , lange her.

Walter Goda, 55, leitet seit 1991 die Kreisgeschäftsstelle. Er ist wie die meisten Parteifreunde aus der Nachbarschaft Katholik und im protestantisch geprägten Niedersachsen somit in der Minderheit, über der Tür hängt ein Kreuz. Bis zum Krieg hatte die katholische Zentrumspartei in Vechta und Umgebung geradezu ein Monopol, die CDU übernahm es. Konfession und Agrarwirtschaft ließen eine konservativ geprägte Enklave gedeihen. Die Wirtschaft boomt, und es riecht je nach Wind selbst mitten in Vechta mit seinen 30 000 Bewohnern nach Land. "Die besten Leute müssen bei der CDU auf der Liste stehen, nicht bei der SPD", sagt Goda, Jeans, Brille, grau meliertes Haar, zwischen Motorradpostern. Das ist sein Credo, wobei er sich mit den örtlichen Sozis durchaus verstehe.

Im Kern sei Emden SPD, sagt Horst Götze, doch es werde weniger.

Immerhin regiert in Niedersachsen ebenfalls eine Groko, sie verträgt sich besser als die Berliner Streitriege und wird angeführt von der SPD. Von Vechta aus geht es gut 100 Kilometer durch die Ebene, die Fleischfabriken werden durch Windräder ersetzt. An der Mündung der Ems zur Nordsee, gegenüber von Holland, liegt Emden, 50 000 Einwohner. Hier, im weitgehend evangelischen Ostfriesland, bestimmt ungefähr seit Menschengedenken die SPD.

Felder, Moore und viel Landwirtschaft: Im Wahlkreis Cloppenburg-Vechta haben 2017 über 53 Prozent ihre Zweitstimme der CDU gegeben - das beste Ergebnis in der Republik. (Foto: Alamy/mauritius images)

"Emden war mal eine Weltstadt", sagt Horst Götze, 72, altgedienter Genosse in der Emder SPD-Fraktion. Das ist ein paar Jahrhunderte her, und anders als in Vechta ging es in Emden bergab. Der Hafen hat immer noch seine Bedeutung, weil von dort deutsche Autos in Monsterfähren über die Meere geschippert werden. Doch es schlossen Werften, in denen früher sogar U-Boote gebaut wurden. Aus dieser Zeit der Arbeiterschaft stammt die Verbindung zu den Gewerkschaften und Sozialdemokraten. Inzwischen hängt die Kommune vor allem am VW-Werk, und weil Volkswagen mit der Dieselsache kämpft, sind die Gewerbesteuern um Millionen Euro zurückgegangen. Dafür hat die IG Metall Emden immer noch 19 000 Mitglieder, gut für die SPD.

Horst Götze hätte mit seinem roten Fahrrad zur neuen SPD-Zentrale radeln können, mit dem roten Fahrrad hat er für den Mindestlohn geworben oder für die Flüchtlinge. Aber es regnet, also fährt er mit seinem Mercedes vor, am Eingang erinnert ein Veranstaltungsplakat an die Revolution vor 100 Jahren. Götze war einst Schaufensterdekorateur und sprach ausschließlich Plattdeutsch, ging zu Daimler-Benz, wurde EDV-Experte und Gewerkschaftsführer. Noch als Rentner ist er außer für die SPD auch für den DGB aktiv, für die Armutskonferenz, für Stolpersteine, für das Aktionsbündnis Wohnen, für das Jobcenter, für Resozialisierung. Im Kern sei Emden SPD, sagt er, doch es werde weniger.

Wenn man mit Aktivisten wie Walter Goda und Horst Götze spricht, dann ähnelt sich manches erstaunlich. Die Milieus von CDU und SPD sind verschieden, aber beide erklären ihre Stärke auch mit Ehrenamt und Vereinen, fundamental für Volksparteien. Und beide wissen, wie schwer es ist, das Niveau zu halten. Die Mitglieder werden älter und weniger. Es gibt besonders in Emden nicht mehr das Versprechen eines Aufstiegs, wie es Götze erlebt hat. Heute hat er eine wunderbare Rente und berät Alleinerziehende oder Arbeitslose. Auch sind zwar in beiden Gebieten die Grünen nicht übermäßig beliebt, weder bei Bauern noch bei Arbeitern, auch die AfD spielt eine vergleichsweise kleine Rolle. Dafür hat ein Zwist der CDU in Vechta die Mehrheit im Stadtrat gekostet, und die SPD in Emden verlor im Streit um eine Klinik bei der Kommunalwahl 20 Prozentpunkte an eine Bürgerbewegung.

Es kann schnell gehen. Beide überlegen, wie sie an die jungen Leute herankommen. Vielleicht mit Facebook und so, soziale Netzwerke, von Tür zu Tür wollen sie trotzdem weiterziehen. Helmut Kohl und Angela Merkel waren in Vechta. In Emden bejubelten sie Martin Schulz, von Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 wollte Götze gar nichts wissen. Die Debakel der Union und der SPD zuletzt in Bayern und Hessen? "Ganz schlimm", sagt Walter Goda. "Deprimierend", sagt Horst Götze. Götze findet, Hartz IV müsse endlich weg. Goda sucht schon Kandidaten für die Kommunalwahl 2021. Man könne da nicht früh genug anfangen.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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