CDU-Parteitag in Essen:Merkel klärt ihr Verhältnis zur CDU

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  • Auf dem CDU-Parteitag ist Angela Merkel mit 89,5 Prozent der Stimmen erneut zur Parteichefin gewählt worden.
  • Das Ergebnis ist ein Dämpfer, aber nur ein leichter.
  • Nach ihrer Rede am Vormittag feierten die Delegierten die Kanzlerin mit einer minutenlangen Applaus-Orgie.

Von Thorsten Denkler, Essen

Nach acht Minuten und 36 Sekunden Dauerapplaus hebt Angela Merkel zum ersten Mal beide Arme, die Handflächen nach unten, und bedeutet den Delegierten: Jetzt ist mal langsam gut. Die Botschaft müsste angekommen sein. Es dauert noch gut drei Minuten, bis Tagungsleiterin Annegret Kramp-Karrenbauer eingreift. Sie beendet die Applaus-Orgie auf dem CDU-Bundesparteitag in der Essener Grugahalle. Muss ja weitergehen. Irgendwie.

Merkel hat den Beifall genossen. Sie ist vielleicht ein Dutzend Mal von ihrem Platz aufgestanden, ist vorgegangen zum Bühnenrand, hat mal hierhin gewinkt, mal dorthin. Hat sich verbeugt, beide Hände über dem Kopf zur Kraftgeste vereint, gelächelt.

Merkel is back. Das galt es zu demonstrieren. All den Zweiflern in den eigenen Reihen. Und den Freunden aus der CSU, von denen allen voran Parteichef Horst Seehofer immer wieder gegen Merkels Flüchtlingspolitik gestänkert hat. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der als Gast der Rede Merkels zuhören muss, wird seinem Chef die Botschaft übermitteln können: Zwischen Angela Merkel und die Partei passt von jetzt an so gut wie kein Blatt mehr.

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:"Ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst mir helfen!"

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Merkel muss am diesen Dienstagmorgen zwei Aufgaben meistern: Sie will mit einem möglichst guten Ergebnis von um 90 Prozent als Parteivorsitzende wiedergewählt werden. Das schafft sie. 89,5 Prozent der Delegierten machen sie am Nachmittag erneut zur CDU-Chefin. Merkel hatte mehr nicht erwartet.

Und Merkel will erneut Kanzlerkandidatin werden. Wofür sie nicht nur ein gutes Ergebnis braucht. Sondern vor allem das Gefühl, von ihrer Partei getragen zu werden. Der Mehr-als-elf-Minuten-Applaus war da so etwas wie das Federkissen, auf das sie ihre vierte Kanzlerkandidatur jetzt betten kann.

Dass das alles so gut funktioniert hat, lässt sich eher nicht mit dem Beginn ihrer Rede erklären. Da erinnert sie ihre CDU daran, dass im vergangenen Jahr 890 000 Menschen in Deutschland "Zuflucht vor Krieg und Verfolgung" gefunden hätten. Und dass jeder einzelne ein Recht darauf habe, dass sein Anliegen geprüft werde.

Deutliche Worte zur Situation in Aleppo

Sie hatte der CDU schon auf dem Parteitag im vergangenen Jahr in Karlsruhe eingebläut, dass es besser wäre, nicht mit Worten wie Flut, Welle oder Masse die Flüchtlingsfrage zu beschreiben. Sondern dass es immer um die Rechte von Individuen gehe. Es lässt auch in Essen sich nicht sagen, dass sie an diesen Stellen überbordenden Applaus bekommt.

Und auch nicht, als sie später in ihrer Rede auf das "C" im Namen der Partei hinweist. Darauf, dass die CDU eine Partei christlicher Werte sei und bleiben müsse. Eine Partei, die die Würde jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik stelle. Und zwar unabhängig von Herkunft, Religion und sexueller Orientierung.

Merkel scheut sich auch nicht, die Situation in Syrien anzusprechen. Es sei eine "Schande" dass es nicht möglich sei, einen Hilfskorridor nach Aleppo einzurichten. Sie wundere aber eines: Wenn Hunderttausende Menschen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta auf die Straße gingen, aber "die Bombardierung von Aleppo kaum öffentliche Proteste auslöst, dann stimmt etwas mit den politischen Maßstäben nicht!" Zustimmung im Plenum.

Den meisten Applaus bekommt Merkel aber an den Stellen, wo sie jene Stimmungen in der Partei bedient, die sich nach klarer Kante sehnen. Nach Law and Order. Nach Islam-Kritik. Nach mehr Härte.

Merkel geht dafür an die Grenzen ihrer Überzeugungen. "Unser Recht hat Vorrang vor der Scharia", sagt sie etwa. Inhaltlich lässt sich dagegen gar nichts sagen. Aber in der Schärfe ist das eher untypisch für Merkel. Der Beifall ist schon hier gewaltig.

"Wer bei uns das Volk ist, das bestimmt bei uns das ganze Volk"

Ein paar Sätze später erklärt Merkel: Gesicht zeigen sei wichtig für die Kommunikation. "Deshalb ist die Vollverschleierung nicht angebracht, sie sollte verboten sein." Danach setzt ein Gejohle und Geklatsche ein, als hätte Merkel gerade in letzter Sekunde den Siegtreffer im Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft geschossen. Jedem dürfte aber klar sein, dass sich so ein Verbot - wenn überhaupt - nur in engen Grenzen durchsetzen lässt.

Es ist auch Angst, die die Delegierten da antreibt. Angst vor einer Partei, die sich weit rechts von der CDU entwickelt hat, der AfD. Merkel nennt die AfD nicht beim Namen. Aber sie sagt, eine Situation wie 2015, "kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein erklärtes politisches Ziel". Soll wohl heißen: Ich habe verstanden.

Gemeint ist eine Situation, in der in wenigen Monaten einige hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Merkel verteidigt ihre Politik von 2015 als humanitäre Notwendigkeit. Zugleich warnt sie davor, den Krakeelern und Trollen da draußen und im Netz zu viel Raum zu geben.

Von denen grenzt sie sich deutlich ab: Manchmal habe man den Eindruck, dass auch einige, die schon immer in Deutschland lebten, "mal einen Integrationskurs nötig" hätten, sagt Merkel. Und die Reaktion aus dem Plenum zeigt, dass nicht nur sie schon Kontakt mit dieser Art von Bundesbürgern hatte.

Merkel stellt klar: "Wer bei uns das Volk ist, das bestimmt bei uns das ganze Volk, nicht einige wenige - mögen sie auch noch so laut sein."

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Die "Wir sind das Volk"-Brüller wird Merkel kaum noch erreichen können. Aber vielleicht die sogenannten Abgehängten. Die schweigend neuerdings zur Wahl gehen und ihr Kreuz dort machen, wo AfD auf dem Wahlzettel steht.

Für die hat Merkel ein paar Botschaften mitgebracht. Ja, der Eindruck sei richtig: "Die Welt ist aus den Fugen geraten." Globalisierung, Kriege, der Zustand der EU, Krisen wo der Blick hingeht. Früher habe sie immer gesagt, das Land, Europa müsse stärker aus einer Krise herauskommen, als es hineingegangen sei. Heute aber "müssen wir aufpassen, dass Welt nicht noch schwächer aus Krisen herauskommt".

Deutschland geht es so gut wie noch nie - so oder so ähnlich hat Merkel bisher ihre Reden intoniert. Jetzt versucht sie gar nicht mehr, die Menschen mit solchen Parolen zu überzeugen, wenn die doch vor ihrer Haustür täglich etwas ganz Anderes erleben.

Ihr Umgang mit den Abgehängten: ernst nehmen, aber nicht nach dem Mund reden. "Ich werde im Wahlkampf nicht über jedes Stöckchen springen, das mir hingehalten wird."

Stattdessen verspricht sie: keine Steuererhöhungen, keine Vermögenssteuer, bessere Infrastruktur, schnelles Internet für alle. Letzteres scheint ihr besonders wichtig. Der Digitalisierung widmet sie eine ganze Passage in ihrer Rede. Vom Umgang mit der Digitalisierung werde der Wohlstand im Land abhängen. "Schnelles Internet wird zur Daseinsvorsorge gehören genauso wie ein Wasser- oder Stromanschluss."

Hier Merkel, da die Partei. In den vergangenen Wochen schien es zeitweise so, als täten sich da unüberbrückbare Gegensätze auf. Das ist vorbei.

"Ihr müsst, ihr müsst mir helfen"

Als sie über die Frage nachgedacht habe, ob sie wieder antreten soll als Parteivorsitzende und damit auch als Kanzlerkandidatin, da hätten ihr viele gesagt: "Du musst, du musst, du musst wieder antreten." Das habe sie sehr berührt. "Das Gegenteil wäre auch nicht schön gewesen", scherzt Merkel. Sie will aber auf etwas Anderes hinaus. Damit es 2017 noch einmal klappt, muss die CDU so stark werden, dass es keine Regierung gegen sie geben kann. Aber dafür gelte eben auch: "Ihr müsst, ihr müsst mir helfen."

Es ist geradezu eine Geste der Unterwerfung, die Merkel da vollzieht. Weil: "Kein Mensch kann die Dinge alleine zum Guten wenden. Es geht nur gemeinsam, Hand in Hand, mit jedem und jeder aus der CDU", sagt Merkel. Sie will eben nicht wahrgenommen werden als eine Art Helmut Kohl mit täglichem wechselndem Blazer.

Ob das bedeutet, dass sie in Zukunft mehr auf die Partei hört? Nun, sie will kein Versprechen abgeben, künftig auf Zumutungen zu verzichten. Weil es eben nicht sie, sondern die Zeiten seien, "die uns einiges zugemutet haben". Und "weil wir tun müssen, was die Zeiten von uns fordern".

Merkel hat mit dieser Rede ihr Verhältnis zur Partei geklärt. Sie wird die ideologiefreie Pragmatikerin bleiben, die sie bisher war. Aber: Sie hat wahrgenommen, was die Partei gerade braucht. Und hat es ihr gegeben. "Ich will immer noch und immer weiter ins Offene gehen", sagt sie am Ende ihrer Rede. Sie bezieht sich damit auf einen Spruch, den sie mal einem Freund in der Wendezeit in ein Buch geschrieben habe: "Geh ins Offene." Merkels Reise wird weitergehen. Und die CDU geht mit.

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