Bundeswehr in Afghanistan:Ein Psychiater für 4500 Soldaten

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Psychischer Stress nach dem Einsatz: Die Zahl der Traumatisierten in der Afghanistantruppe steigt um 30 Prozent. Die Opposition rügt die Versorgung.

Peter Blechschmidt

Für die Behandlung traumatisierter Soldaten ist die Bundeswehr offenbar nicht ausreichend gerüstet. Laut einem aktuellen Expertenbericht ist derzeit nur die Hälfte der insgesamt 40 Facharztstellen für Psychiatrie im Sanitätsdienst besetzt. Für 4500 Soldaten im Afghanistan-Einsatz steht demnach gerade mal ein Psychiater zur Verfügung.

Währenddessen steigt die Zahl der Soldaten, die nach der Verwicklung in Kampfhandlungen unter einer sogenannten Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.

Mehr Attacken, mehr PTBS-Fälle

Wurden 2008 in der Bundeswehr insgesamt 245 Fälle registriert, davon 226 in Afghanistan, so waren es nach Angaben der FDP-Bundestagsabgeordneten Elke Hoff im ersten Halbjahr 2009 insgesamt schon 163 Fälle, eine Steigerung um mehr als 30 Prozent. Hoff beruft sich auf Zahlen des Verteidigungsministeriums.

Je heftiger die Bundeswehr wie zurzeit im nordafghanischen Kundus von Aufständischen attackiert wird, desto schneller dürfte diese Zahl anwachsen.

Der Psychiater Mario Horst Lanczik, ein Oberstarzt der Reserve, hat im Sommer dieses Jahres in Masar-i-Scharif, dem Hauptquartier der Bundeswehr in Afghanistan, Soldaten mit PTBS untersucht.

In seinem Mitte September fertiggestellten Bericht beschreibt Lanczik eine Reihe von Defiziten bei der Betreuung von PTBS-Kranken, darunter die Vielzahl unbesetzter Stellen und die Anwesenheit von nur einem Psychiater in Afghanistan.

Bekannte Ausmaße

"Wissenschaftliche Untersuchungen zur Prävention, Behandlung und Verlauf von psychischen Erkrankungen nach Kampfhandlungen bei deutschen Soldaten liegen nicht in ausreichendem Maße vor", schreibt Lanczik. Ein im Juni 2008 erlassenes "Forschungskonzept psychische Gesundheit" komme zu spät, um kurz- oder mittelfristig wirksam sein zu können.

Dabei wissen Experten seit langem um die Ausmaße von PTBS. Nach Erkenntnissen amerikanischer und israelischer Militärpsychiater weisen bis zu 30 Prozent von Soldaten, die an Kampfhandlungen beteiligt waren, psychische Erkrankungen und Störungen auf. "Bei deutschen Soldaten ist mit vergleichbaren Raten zu rechnen", schreibt Lanczik.

Alle von ihm untersuchten Soldaten hätten berichtet, dass sie auf die seelischen Folgebelastungen durch Tod und Verwundung von Kameraden bei Kampfeinsätzen nicht ausreichend vorbereitet würden.

Bei der Behandlung von psychischen Störungen bleibe es weitgehend dem einzelnen Soldaten überlassen, die verschiedenen Maßnahmen von Ärzten, Psychologen und Militärseelsorgern abzustimmen. Bei Psychiatern und Psychotherapeuten in zivilen Einrichtungen stießen die Soldaten häufig auf "Stigmatisierung" und "Unverständnis für ihren Soldatenberuf".

Der Prävention und Behandlung psychischer Belastungsreaktionen werde bei der Bundeswehr "eine sehr hohe Bedeutung beigemessen", schrieb der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Kossendey, im Juni an den Verteidigungsausschuss.

Das sieht die FDP-Abgeordnete Elke Hoff ganz anders: "Die Bundesregierung hat bisher versäumt, die psychische Betreuung und Behandlung der Soldaten zu verbessern", sagte Hoff der Süddeutschen Zeitung.

Die offenen Dienstposten in der Psychiatrie müssten schnellstmöglich besetzt werden. "Erst hat die Bundesregierung die Relevanz von PTBS verkannt, nun verweigert sie sich der Umsetzung des Auftrages, den das Parlament ihr über alle Parteigrenzen hinweg erteilt hat", betonte Hoff.

© SZ vom 24.9.2009/jab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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