Straftäter, die in die Psychiatrie eingewiesen worden sind, dürfen nur in sehr engen Grenzen einer medizinischen Zwangsbehandlung unterzogen werden. Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist der frei gebildete Wille des Patienten maßgeblich. Lehnt er eine Behandlung etwa mit Psychopharmaka ab, dann darf sich der Staat nicht darüber hinwegsetzen, nur weil ein Verzicht auf Medikamente den "wohlverstandenen Interessen" des Betroffenen zuwiderläuft.
Die Entscheidung, ob sich jemand wegen einer Krankheit behandeln lasse, "muss sich nicht an einem Maßstab objektiver Vernünftigkeit ausrichten". Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfasse auch eine "Freiheit zur Krankheit", heißt es in dem Beschluss.
Gerichtsgutachter:"Ich habe sie nicht zu verurteilen"
Gut und Böse - in jedem Menschen sind beide Seiten angelegt, sagt Matthias Hollweg. Als psychiatrischer Gutachter untersucht er Gewaltverbrecher. Warum es den Serienkiller aus dem Fernsehen nur selten gibt und Mörder manchmal harmlos sein können.
Damit gab der Zweite Senat der Verfassungsbeschwerde eines Mannes statt, den das Amtsgericht Nürnberg in die Psychiatrie eingewiesen hatte. Er hatte mit einem Besteckmesser auf den Brustkorb seines Nachbarn eingestochen und versucht, ihn zu töten. Das Amtsgericht erklärte ihn wegen einer wahnhaften Störung für schuldunfähig und wies ihn in den sogenannten Maßregelvollzug ein. Im Bezirkskrankenhaus sollte er dann wegen einer Schizophrenie mit Neuroleptika behandelt werden - doch der Mann wehrte sich: Er hatte solche Medikamente zuvor in einer wirksamen, da im Zustand geistiger Klarheit verfassten Patientenverfügung abgelehnt.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun klargestellt, dass die Autonomie des Betroffenen Vorrang hat vor dem Bestreben, ihn mithilfe von Medikamenten vor einer Schädigung seiner eigenen Gesundheit zu bewahren - oder auch davor, dass er ohne medizinische Behandlung seine Chancen auf Entlassung aus der Psychiatrie verspielt.
Der freie Wille gilt nicht absolut
"Sofern Betroffene mit freiem Willen über medizinische Maßnahmen zur Erhaltung oder Besserung der eigenen Gesundheit entscheiden können, besteht keine Schutz- und Hilfsbedürftigkeit", heißt es in der Entscheidung. "Der Einzelne ist grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Ermessen zu entscheiden." Entscheidend sei aber, dass die Patientenverfügung wirklich in freier Entscheidung und im Bewusstsein über ihre Reichweite verfasst worden sei. Das müsse gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen geklärt werden. Zudem müsse in der Verfügung die "konkrete Behandlungssituation" erfasst sein.
Allerdings gilt auch der freie Wille nicht absolut. Wenn der Patient ohne Medikamente nicht nur seine eigene Gesundheit gefährdet, sondern auch ein Risiko für das Personal darstellt, dann kann laut Verfassungsgericht eine Zwangsbehandlung doch zulässig sein - als letztes Mittel, wenn sonst nichts hilft. "Die autonome Willensentscheidung des Patienten kann nur so weit reichen, wie seine eigenen Rechte betroffen sind", befand das Gericht.