Bundestagswahl:Streit um Direktkandidatin in Grünen-Hochburg

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Canan Bayram will Direktwahlkreis der Grünen verteidigen. (Foto: REUTERS)

Die Grüne Canan Bayram will Hans-Christian Ströbele beerben und das Direktmandat in Berlin-Kreuzberg gewinnen. Einige Realos lehnen das ab.

Von Jens Schneider, Berlin

Es kommt nicht oft vor, dass Canan Bayram sich zurückhält. Die 51-jährige Rechtsanwältin aus Berlin-Friedrichshain spitzt gern zu, provokant und links. Meist reichen ihr wenige Worte, vorgetragen mit leiser, rauer Stimme. Ihre Scharfzüngigkeit haben ihre politischen Gegner im Berliner Abgeordnetenhaus schon oft zu spüren bekommen, auch Parteifreunde von den Grünen. Diesmal aber schweigt die Direktkandidatin der Grünen. Sie werde sich an der Debatte nicht beteiligen, sagt sie. Das muss sie wohl auch nicht - obwohl von einem Foulspiel aus den eigenen Reihen die Rede ist.

Bayram hat ein großes Ziel. Sie will schaffen, was bisher nur Hans-Christian Ströbele gelang. 2002 holte er erstmals und als bis heute bundesweit einziger Grüner einen Direktwahlkreis für den Bundestag: "Friedrichshain - Kreuzberg - Prenzlauer Berg Ost". Drei Mal konnte er diesen Erfolg wiederholen.

Jetzt hört der 78-Jährige aus Altersgründen auf, Bayram kandidiert für die Grünen. Ströbele ist für sie in seinem Kiez unterwegs. Doch nicht jeder scheint ihr einen Erfolg zu wünschen. Mitte letzter Woche wurde ein Zitat aus einem internen Forum bekannt. "Die ist echt nicht wählbar", hatte der Grüne Volker Ratzmann geschrieben, der mal Fraktionschef im Abgeordnetenhaus war.

Realo-Schelte nützt in Kreuzberg

Der Satz konnte als Warnung vor der Parteifreundin verstanden werden. Dabei bewegte Ratzmann offenbar die Sorge um das politische Schicksal der früheren Bundesministerin Renate Künast. Sie steht auf Platz drei der Landesliste und könnte den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, sollte die Partei schwach abschneiden und Bayram als Direktkandidatin ein Mandat für sich reservieren können. Bei für Berliner Verhältnisse schwachen zehn Prozent liegen die Grünen in Umfragen. Ratzmann fürchtete, dass Bayram "Renate rauskegeln" könnte.

Die linke Kandidatin war in den Machtkämpfen der Grünen vor Jahren eine erbitterte Gegnerin des Realos. Ratzmann zog sich damals in die Fraktion zurück, arbeitet inzwischen für Baden-Württembergs grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Bei den Berliner Grünen hat er keine wichtige Rolle mehr. Aber die in Umlauf geratenen Zitate, nicht für die Öffentlichkeit gedacht, lösten Unruhe aus. Gibt es eine Bewegung innerhalb der Grünen gegen die eigene Kandidatin? Und: Geht der Machtkampf wieder los?

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Der Streit zwischen Realos und Fundis hatte die Partei zu Anfang des Jahrzehnts an den Rand der Spaltung gebracht. Manche der Kontrahenten zogen sich zurück, der Rest fand mühsam zu einer Zusammenarbeit zurück, die anfangs mehr gegenseitige Duldung denn eine Partnerschaft war. So gingen Berlins Grüne in den letzten Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus mit vier Spitzenkandidaten, damit sich alle Strömungen vertreten fühlten.

Denen gelang es freilich, ohne offene Konflikte durch den Wahlkampf zu kommen - ein kleines Wunder. Dagegen fühlte sich Canan Bayram, seit Jahren als Direktkandidatin im Abgeordnetenhaus, für äußere Harmonie nie zuständig - im Gegenteil: Zu den Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl zum Beispiel, Katrin Göring-Eckhardt und Cem Özdemir, fiel Bayram im Frühsommer ein, dass die beiden aussähen "wie Ortsvereinsvorsitzende der CDU". Das habe eine langjährige Grünen-Wählerin ihr gesagt, berichtete Bayram ohne Widerspruch bei jenem Parteitag, mit dem die Grünen aus dem Umfrageloch herausfinden wollten.

Ströbeles mythischen Status hat sie nicht

Es war ein Kompliment, auf das die beiden gern verzichtet hätten, das Bayram aber wohl überlegt platzierte. Sie muss auffallen. Sie muss anders sein als die realpolitischen Grünen. Wie sonst könnte sie wiederholen, was Hans-Christian Ströbele gelang?

Bayram ist Kennern der Landespolitik bekannt als Anwältin, die sich für Flüchtlinge engagiert. Sie fiel auch durch ihre Unterstützung des linksautonomen Wohnprojekts in der Rigaer Straße in Friedrichshain auf, Ströbeles mythischen Status hat sie aber bei Weitem nicht.Es könnte eng werden im Wahlkreis, und die Landespartei ist generell wegen der schlechten Umfragen nervös. Die Grünen-Spitze reagierte recht harsch auf Bayrams interne Gegner. Unnötig und ärgerlich findet man die Äußerung Ratzmanns.

Das sei eine Einzelmeinung, hieß es von der Vorsitzenden Nina Stahr, die dem Realo-Flügel angehört. Ihr Co-Vorsitzender Werner Graf betonte, alle wollten ein gutes Ergebnis. Tatsächlich fällt auf, dass die Partei mit einer Disziplin reagiert, zu der sie noch vor wenigen Jahren kaum fähig gewesen wäre.

Die Weggefährten von Bayram bei den Kreuzberger Grünen halten sich mit Kommentaren zurück. Für sie ist die Sache ein Geschenk. In Kreuzberg tut es einer grünen Kandidatin eher gut, wenn Realos sie ablehnen. Und so viel Presse wie jetzt hätte Bayram selbst mit einem provokanten Auftritt kaum bekommen. Da kann auch sie gut schweigen.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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