Der Bundestag wollte genau das Gegenteil beweisen - der Jammer ist entsprechend groß. "Man hat sich verkalkuliert", sagt Silvia Schmidt, behindertenpolitische Sprecherin der SPD, im Gespräch mit sueddeutsche.de. "Ich verstehe die Aufregung der Betroffenen, ich hoffe auf ihr Verständnis. Es war leider nicht möglich. Wir können uns keinen Raum schnitzen."
Offensichtlich sei beim Bau des Plenarsaals nicht darauf geachtet worden, dort eine große Anzahl von Rollstuhlfahrern unterzubringen, mutmaßt Schmidt - eine Aussage, die wohl für viele Gebäude in Deutschland gelten dürfte.
"Das wirkliche Leben hat den Bundestag eingeholt"
Die Politiker diskutierten zwar, die Versammlung in eine andere Räumlichkeit zu verlegen. Etwa auf dem Berliner Messegelände oder in Zelten vor dem Reichstag. Sie kamen aber zu dem Schluss, das würde "dem Charakter der Veranstaltung nicht gerecht", wie die SPD-Politikerin Schmidt sagt.
Letztlich entschieden sich die behindertenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen mehrheitlich für die Verschiebung des Termins - er soll Ende 2012 nachgeholt werden. Lediglich Ilja Seifert von der Linkspartei, selbst Rollstuhlfahrer, stimmte gegen die Absage. "Das wirkliche Leben hat den Bundestag auf äußerst unangenehme Weise eingeholt", schreibt Seifert in einer Pressemitteilung. Es gebe Bereiche, die für Rollstuhlfahrer unzugänglich seien - nun müsse sich der Bundestag damit beschäftigen, wie viele Rollstuhlfahrer hineindürften.
Tatsächlich dürfte in den kommenden Wochen und Monaten intensiv darüber nachgedacht werden, wie der Nachholtermin zu gestalten ist. Eine neuerliche Schmach will die Politik unbedingt vermeiden. Dass der Plenarsaal bis 2012 vergrößert wird, gilt jedoch als ausgeschlossen. Der Grünen-Politiker Kurth regt an, so viel Platz zu schaffen, wie irgendwie möglich - und zur Not die Versammlung auf Leinwände in anderen Gebäuden zu übertragen. Anders gehe es nicht. Barbara Vieweg vom Deutschen Behindertenrat betont jetzt schon, dass ihr Aktionsbündnis keine Lösung mittragen wird, die "Menschen im Rollstuhl ausgrenzt".
"Man kann nur hoffen, dass sich weniger Rollstuhlfahrer anmelden", sagt die SPD-Politikerin Schmidt. Damit wäre das Platzproblem im Bundestag gelöst - die Frage nach der Teilhabe Behinderter an der Politik aber noch lange nicht.