Corona-Hilfen:Am Ende wird abgerechnet

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"Wir sind am Ende der Nahrungskette": Aktenstapel im Sozialgericht Berlin. (Foto: Stephanie Pilick/dpa)

Die Pandemie wird dem Bundessozialgericht viele Klagen bescheren, da ist Gerichtspräsident Rainer Schlegel sicher. Vor allem dann, wenn der Staat von Empfängern unbürokratischer Hilfen Geld zurückfordert.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Krankenhausvergütung, Grundsicherung, Sozialhilfe, aber auch Kurzarbeit und Impfungen: Viele Themen, die das Bundessozialgericht (BSG) als oberste Instanz im Bereich Gesundheit und Soziales beschäftigen, haben unter Corona eine neue Dynamik gewonnen. Und mit dieser Dynamik werden sie laut Gerichtspräsident Rainer Schlegel auch bald bei den 14 Senaten in Kassel anlanden. "Wir sind am Ende der Nahrungskette", sagt Schlegel bei der virtuellen Jahrespressekonferenz des Gerichts.

Aus seiner Sicht habe der Sozialstaat den "Stresstest" Corona gut bestanden, sagt der 63-jährige Präsident des obersten deutschen Sozialgerichts: "Der Gesetzgeber hat in der Pandemie viele Leistungen unbürokratisch zur Verfügung gestellt, aber ,unbürokratisch' heißt natürlich nicht, dass man auf sämtliche Voraussetzungen verzichtet". Bei den diversen Rettungsschirmen zum Beispiel habe der Staat sehr viel Geld in die Hand genommen, da werde es letztlich zu Überprüfungen und Endabrechnungen kommen. Und dann kommen die Klagen. Vor allem, wenn etwas zurückgezahlt werden muss, sind gerichtliche Auseinandersetzungen programmiert. Das weiß Schlegel aus langjähriger Erfahrung.

Auseinandersetzungen vor Gericht kann er sich etwa beim Thema Krankenhausabrechnungen vorstellen. Oder beim Kurzarbeitergeld. Schlegel zitiert hier die Verfahren um die Fluglinie Air Malta, die in Deutschland Kurzarbeit für 800 Beschäftigte beantragt habe, obwohl sie ohne Betriebssitz in Deutschland sei. Dass so etwas vor Gericht überprüft werde, werde kein Einzelfall bleiben.

Auch ging der BSG-Präsident auf den Fall einer Rechtsanwältin ein, die Grundsicherung wollte, obwohl sie über mehr als 60 000 Euro Vermögen verfügte - da während der Corona-Pandemie bei Hartz-IV-Empfängern eine Prüfung nur noch bei einem erheblichem Vermögen stattfinden sollte. Aber was ist ein "erhebliches Vermögen"? "Die Bundesanstalt für Arbeit hatte in Corona-Zeiten Massen solcher Anträge zu bearbeiten", so Schlegel. Denkbar seien außerdem Prozesse, die klären sollen, "ob nicht aus falschen Töpfen finanziert wurde".

Schlegel kritisiert, dass in der Corona-Krise viele Bestimmungen auf dem Wege der Verordnung und nicht als Gesetz erlassen worden seien. Zum Beispiel die Kriterien für die Verteilung des Impfstoffs. "Die Diskussion darüber müsste im Bundestag geführt werden", fordert der BSG-Präsident. Schon aus Gründen der Transparenz. Aber er findet auch ein gutes Wort: "Der Vorteil einer Verordnung ist: Man kann sie für nichtig erklären."

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