Urteil:BGH setzt hohe Hürden für Entschädigungen nach Abschiebehaft

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Theoretisch können Flüchtlinge, die in Abschiebehaft genommen wurden, in begründeten Fällen eine Entschädigung bekommen. Praktisch aber wird das nun sehr schwierig. (Foto: picture alliance/dpa)
  • Die Aussichten von Flüchtlingen, wegen einer rechtswidrigen Inhaftierung eine Entschädigung einzuklagen, sind nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshof auf ein Minimum geschrumpft.
  • Das ist durchaus im Sinne von Bundesinnenminister Seehofer (CSU), der bis Ende Juni 2022 Flüchtlinge, denen die Abschiebung droht, in Gefängnissen unterbringen will, wenngleich räumlich getrennt von Strafgefangenen.
  • Aus dem nun ergangenen Urteil des BGH folgt jedoch, dass eine Verletzung dieses sogenannten Trennungsgebots jedenfalls keine Haftentschädigung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention auslöst.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Erst am Mittwoch hat das Bundeskabinett das sogenannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz beschlossen, das in Wahrheit die effektive, beschleunigte Rückkehr von Flüchtlingen erreichen soll - mit erweiterten Haftgründen sowie der Möglichkeit einer Unterbringung von Flüchtlingen in einem separaten Gefängnistrakt. An diesem Donnerstag hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) das dazu passende Urteil verkündet. Die Aussichten von Flüchtlingen, wegen einer rechtswidrigen Inhaftierung eine Entschädigung einzuklagen, sind damit auf ein Minimum geschrumpft.

Geklagt hatte ein Mann aus Afghanistan, der 2013 zusammen mit seiner Frau und der anderthalbjährigen Tochter nach Deutschland gekommen war. Er hatte zuvor bereits in der Slowakei Asyl beantragt, wollte aber nicht zurück - die Situation dort sei "wie ein Gefängnis", man könne dort nicht leben. Die Bundespolizei verfügte gleichwohl seine Abschiebung, die Amtsgerichte in Passau und dann in München ordneten Abschiebehaft an, er wurde dann in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim untergebracht. Das Landgericht München I erklärte die Haft auf seine Beschwerde hin für rechtswidrig, weil keine Fluchtgefahr bestehe. Nach einigem Hin und Her - unter anderem verbrachte der Mann einige Zeit im Kirchenasyl - ging die Sache für ihn doch noch gut aus: Er wurde als Flüchtling anerkannt.

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Der BGH hat nun eine ganze Reihe bisher ungeklärten Fragen entschieden. Die Ergebnisse sind durchaus günstig für die von Bundesinnenminister Horst Seehofer betriebenen Abschiebepläne ausgefallen. Allen voran für sein Vorhaben, Flüchtlinge bis Ende Juni 2022 auch in Gefängnissen unterzubringen, wenngleich räumlich getrennt von Strafgefangenen. Das verstößt eigentlich gegen die europäische Rückführungsrichtlinie, jedenfalls sehen Kritiker das so.

Aus 810 Euro Entschädigungsanspruch wurden 0

Der BGH hat nun aber entschieden, dass eine Verletzung dieses sogenannten Trennungsgebots jedenfalls keine Haftentschädigung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention auslöst. Denn der in Artikel 5 festgeschriebene Anspruch betreffe "nur die Freiheitsentziehung als solche, nicht den Haftvollzug beziehungsweise die Modalitäten der Haft". Soll heißen: Geld kann nicht fordern, wer in die falsche Zelle gesperrt wurde, sondern nur, wer überhaupt zu Unrecht inhaftiert wurde.

Freilich sind die Aussichten auf Entschädigungen wegen rechtswidriger Abschiebehaft nach dem BGH-Urteil auch ganz generell gesunken. Selbst wenn ein Gericht die Rechtswidrigkeit verbindlich festgestellt hat, löst das keineswegs einen Automatismus zur Geldentschädigung aus. Eher drohen Ansprüche im Gewirr verschiedener Zuständigkeiten von Bund und Land verloren zu gehen, das zeigt der konkrete Fall.

Im Prozess um die Rechtswidrigkeit der Haft war nämlich nur der Bund beteiligt - über die Bundespolizei, die eine Schlüsselrolle spielt, weil sie bestimmt, wo die Häftlinge untergebracht werden. Laut BGH war aber für die grundsätzliche Anordnung der Haft das Land Bayerns verantwortlich, genau genommen seine Amtsgerichte. Weshalb sich laut BGH solche Klagen immer nur gegen das Land, nicht gegen den Bund richten können. Im späteren Entschädigungsprozess - laut BGh ein gänzlich anderes juristisches Gleis - waren jedoch die Vertreter Bayerns nicht vertreten. Also sei das Land auch nicht an diese Entscheidung gebunden, befand der BGH. Womit der Afghane zwar eine Landgerichtsentscheidung in Händen hat, wonach er 27 Tage rechtswidrig in München-Stadelheim inhaftiert war - es hat aber nur symbolische Wirkung.

Zwar könnte Flüchtlingen in solchen Fällen gleichwohl eine Entschädigung zuerkannt werden, jedenfalls theoretisch. Praktisch hat der BGH die Klagechancen der Flüchtlinge aber dramatisch verengt. Denn nach seiner Lesart haben die Gerichte beim Thema Haft einen "Bewertungsspielraum", weil es um die Prognose gehe, ob ein Abschiebekandidat wegen Fluchtgefahr in Haft genommen werden müsse oder nicht.

Das bedeutet: Der Richter im Entschädigungsprozess überprüft die Haftentscheidung nur auf grobe Fehler, kontrolliert aber nicht im Detail, ob dort alle Fluchtrisiken richtig gewürdigt wurden. Und weil der Afghane die "schlimmen" Zustände in der Slowakei geschildert hatte, wo man nicht leben könne, ist es aus BGH-Sicht plausibel, dass der Mann bei drohender Abschiebung untertauschen wollte.

Das Landgericht München I hatte ihm noch 810 Euro zugesprochen, als 30 Euro für jeden der 27 Tage hinter Gittern. Der BGH hat den Anspruch dagegen auf Null gesetzt - und musste sich daher zur heftig umstrittenen Frage nicht mehr äußern, wie hoch Haftentschädigungen überhaupt ausfallen müssen.

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