Freiwilligendienst:"Kürzt uns nicht weg"

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Freiwillige Helferin bei der Kinderfreizeit in einem Hochseilgarten in Karlsruhe. (Foto: Uli Deck/DPA)

Der Bund will fast ein Viertel weniger für junge Menschen ausgeben, die ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr absolvieren. Träger und Einrichtungen sind entsetzt.

Von Tobias Bug

Eigentlich hatten sich SPD, FDP und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Freiwilligendienste zu stärken. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte sogar ein soziales Pflichtjahr für alle. Doch nun sollen die Mittel um etwa ein Viertel gekürzt werden.

Der Etat für die Jugendfreiwilligendienste, dazu gehören das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ), soll von derzeit 121 Millionen auf 96 Millionen Euro im Jahr 2024 sinken. Für den Bundesfreiwilligendienst (BFD) sollen 2024 statt 207 Millionen nur noch 154 Millionen Euro bereit stehen. So steht es im Haushaltsentwurf, über den der Bundestag bis zum Spätherbst debattieren wird.

Das Familien- und Jugendministerium von Ministerin Lisa Paus (Grüne) muss an vielen Stellen kürzen, um die Sparvorgaben von Finanzminister Christian Lindner (FDP) einzuhalten. Um die Freiwilligendienste in dieser "herausfordernden finanziellen Situation bestmöglich zu sichern", so ein Sprecher des Familienministeriums, soll es Gespräche mit den Verbänden, Zentralstellen und Ländern geben. Die gute Nachricht sei, dass die in diesem Herbst startenden Freiwilligenjahrgänge wie geplant finanziert werden könnten.

Ein Viertel bis ein Drittel aller Stellen könnte wegfallen

Das FSJ, das nur junge Menschen zwischen 16 und 27 Jahren machen dürfen, ist an die Schulzeiten gekoppelt. Der Bundesfreiwilligendienst, Nachfolger des Zivildiensts, richtet sich an alle, die 16 sind oder älter. Derzeit engagieren sich rund 100 000 überwiegend junge Menschen in Krankenhäusern, Schulen, Kitas, Museen oder Umweltverbänden.

Sollten die Kürzungen so kommen wie geplant, rechnet Kristin Napieralla, Sprecherin des "Bundesarbeitskreises FSJ", damit, dass ein Viertel bis ein Drittel der Freiwilligendienststellen wegfallen könnten. Das wäre ein "Schlag ins Gesicht" für alle Freiwilligen, Träger und Einrichtungen. "Die Träger sind sehr verunsichert und wissen nicht, wie sie das schaffen sollen", sagt Napieralla. Freiwillige übernehmen in den Einrichtungen Hilfstätigkeiten, geben zum Beispiel Essen an Obdachlose aus, spielen mit den Kindern in Kitas oder gehen mit Senioren spazieren. Sie entlasten damit die hauptamtlichen Angestellten, die sowieso schon viele Überstunden machten, sagt Napieralla.

Die Freiwilligendienste spielen eine große Rolle in der Personalgewinnung, gerade in den personell dünn besetzten Kitas. Ein Großteil ihrer Freiwilligen fange nach dem FSJ oder BFD eine Erzieherausbildung an oder ein Studium in Sozialer Arbeit, sagt Naomi Wille, Leiterin einer Kindertagesstätte in Frankfurt am Main. "Die geplanten Kürzungen wären dramatisch" - für die Kinder, für die Einrichtungen, deren Träger und für die Freiwilligen selbst.

Im März startete eine Petition für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung

Marie Beimen ist 19 Jahre alt und hat vor Kurzem ihr FSJ in einem Krankenhaus in der Nähe von Dortmund gemacht. Im März startete sie eine Petition, ursprünglich mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen und das Taschengeld für Freiwilligendienstler zu verbessern. Sie und ihre Mitstreiter sammelten mehr als 100 000 Unterschriften und vor eineinhalb Wochen sprach Marie Beimen im Petitionsausschuss des Bundestags vor. Dort zeigte sie sich "entsetzt" über die geplanten Kürzungen.

"Freiwilligendienste haben einen dreidimensionalen Gewinn: für die Freiwilligen, für die Einrichtungen und für die Gesellschaft", sagte Beimen am Rande eines Demonstrationszugs mit dem Motto "Kürzt uns nicht weg" am vergangenen Mittwoch in Berlin. Der Petitionsausschuss habe ihre Ziele sehr wohlwollend aufgenommen, jetzt sei die Bundesregierung in der Pflicht, sagte Beimen. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg."

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Swantje Michaelsen, Grünen-Abgeordnete im Petitionsausschuss, sagt am Telefon, sie unterstütze die Ziele der Petentin. "Wir Grünen finden die Kürzungen bei den Freiwilligendiensten schmerzhaft." Man habe sich im Koalitionsvertrag darauf verständig, die Freiwilligendienste zu stärken. "Darum müssen sich dann auch alle Partner darum kümmern", sagt Michaelsen. Das FDP-geführte Finanzministerium darf sich angesprochen fühlen.

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