Krise in Sofia:Bulgariens Premier stürzt durch ein Misstrauensvotum

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Abgang: Bulgariens Premier Kiril Petkow wurde durch einen Misstrauensantrag abgewählt. (Foto: STOYAN NENOV/REUTERS)

Der Reformer Kiril Petkow verliert nach nur einem halben Jahr die Macht, die Opposition triumphiert nach seinem Sturz im Parlament. Nun beginnt eine neue Phase großer politischer Unsicherheit.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Der Misstrauensantrag gegen die bulgarische Regierung war bereits vergangene Woche angekündigt worden und hatte im Vorfeld eine große Demonstration von Befürwortern der noch recht neuen Regierung ausgelöst. Im politisch notorisch labilen Bulgarien ist das eher eine Seltenheit. Die reformorientierte Koalition von Ministerpräsident Kiril Petkow, die nach drei Parlamentswahlen und zwei vergeblichen Anläufen zur Regierungsbildung im Jahr 2021 schließlich im November zustande gekommen war, war ihrerseits das Ergebnis engagierter Proteste Zehntausender Bulgaren. Sie kritisierten die Korruption, mafiöse Zustände und den früheren, konservativen Regierungschef Bojko Borrisow.

Gleichwohl hat es sein Nachfolger Petkow nicht geschafft. Nach nur einem halben Jahr hat ihn die Opposition mithilfe der Partei "Es gibt so ein Volk" (ITN), die erst vor zwei Wochen aus der Regierungskoalition ausgetreten war, gemeinsam abgewählt.

Für das Land bringt das die nächste Phase tiefer Unsicherheit mit sich. Weil es zahlreiche abtrünnige Abgeordnete bei ITN gab, die ihrem Parteichef, dem Entertainer und Populisten Slawi Trifonow, Käuflichkeit und Kontakte zur bulgarischen Mafia vorgeworfen hatten, hoffte die Regierungskoalition darauf, dass sie mit einer knappen Mehrheit aus dem Misstrauensvotum hervorgehen könnte. Petkow leitete bisher eine eher schwierige Vierer-Koalition, die aus seiner Gruppierung "Wir setzen den Wandel fort", einer weiteren kleinen Reformpartei, den eher russlandfreundlichen Sozialdemokraten und ITN bestanden hatte.

Doch zwei Gründe, die vorgeschoben sein mögen, brachten ITN dazu, dem Premier die Mitarbeit aufzukündigen: Sein lautes Nachdenken darüber, ob Bulgarien das Veto gegen den EU-Beitritt Nordmazedoniens aufgeben solle. Und Vorwürfe, seine Regierung habe Subventionen für Bauunternehmer kürzen wollen - eine Chiffre für Verteilungskämpfe in einer Wirtschaft, die als notorisch korrupt gilt und sich mit der früheren Regierung sowie regierungsnahen Oligarchen gut arrangiert hatte.

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Borrisows Chance auf ein Comeback

Schlussendlich unterlag die Koalition von Petkow am Mittwochabend denkbar knapp; ihr fehlten einige, wenige Stimmen zum Überleben. Nun kann Staatspräsident Rumen Radev, der sich Petkow zunehmend gegenüber kritisch gezeigt hatte, eine andere Partei mit der Regierungsbildung beauftragen; insgesamt drei Anläufe kann es dafür qua Verfassung geben. Sollte Petkow scheitern, ginge das Angebot zur Regierungsbildung an den 2021 abgewählten Borrisow, Parteichef der konservativen Gerb. Dessen dubiose Verbindungen zur Halbwelt, Abhör- und Finanzskandale hatten die Massenproteste vor knapp zwei Jahren überhaupt erst ausgelöst. Einen "großen Volksaufstand" hatten die Organisatoren ihre Demonstrationen damals genannt.

Nun hat Borrisow die Chance auf ein Comeback. Sollte er nicht genügend Partner für eine Regierung finden und Petkow ebenfalls scheitern, dürfte es im Herbst wieder einmal Neuwahlen geben. Nach dem erfolgreichen Misstrauensvotum nahm Petkow, ein in Harvard ausgebildeter Ökonom, im Parlament noch einmal Stellung zu den Ereignissen. Es sei ihm eine Ehre gewesen, einer Regierung vorstehen zu dürfen, so der 42-Jährige, die von seinen politischen Gegnern sowie der russischen Botschafterin in Bulgarien, Eleonora Mitrofanowa, gestürzt worden sei. Damit spielte Petkow auf die massive Desinformationskampagne Moskaus in Bulgarien an, das eine historisch enge Bindungen zu Russland und einen russophilen Bevölkerungsteil hat.

Spannungen über die aktive Solidarität der bulgarischen Regierung mit dem Opfer des russischen Angriffskriegs, der Ukraine, hatten auch den politischen Machtkampf in Sofia überschattet. Es sei ein langer Weg, so Petkow weiter, aber er verspreche den Bürgern, dass Bulgarien eines Tages ein echter europäischer Staat ohne Hinterzimmerdeals und einer mächtigen Mafia sein werde. Nach der Abstimmung verließen Petkow und mehrere Minister das Parlament und wandten sich an ihre Unterstützer. Zeitgleich feierten ihre Gegner lautstark den Sturz der Regierung.

Am Morgen hatte eine für Mittwoch angesetzte Abstimmung im Parlament über ein Gesetz zum Corona-Wiederaufbaufonds der EU wegen der politischen Querelen nicht stattfinden können. Der Stunden später abgewählte Regierungschef Petkow klagte, allein deswegen laufe Bulgarien Gefahr, mehr als anderthalb Milliarden Euro an Hilfsgeldern aus Brüssel zu verlieren.

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