Bulgarien:Niederlage der Moskautreuen

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Ein Mann bei der Stimmabgabe in einem Wahllokal außerhalb der Hauptstadt Sofia. (Foto: Vadim Ghirda/AP)

Auch die erneute Parlamentswahl in Bulgarien bringt keinen klaren Regierungsauftrag. Ein Ergebnis immerhin ist eindeutig: Die beiden stärksten Gruppierungen sind sich einig über die Unterstützung der Ukraine.

Von Cathrin Kahlweit

Bei der fünften Parlamentswahl in Bulgarien innerhalb von zwei Jahren hat sich die allseits erhoffte Klärung der Verhältnisse durch ein eindeutiges Ergebnis nicht eingestellt. Bis auf eine kurze Regierungszeit von sieben Monaten, in welcher der proeuropäische Ökonom Kiril Petkow Ende 2021 bis Mitte 2022 eine Koalitionsregierung angeführt hatte, war seit der letzten regulären Wahl keine einzige Regierung mit einer parlamentarischen Mehrheit zustande gekommen. Stattdessen hatte Präsident Rumen Radew dreimal sogenannte Übergangs- oder Expertenkabinette eingesetzt.

Diesmal, am Sonntag, hatte zumindest die Hoffnung bestanden, dass eine Partei von den Wählern einen klaren Regierungsauftrag erhalten könnte. Tatsächlich aber liegt nach Auszählung fast aller Stimmen die konservative Partei "Gerb" des langjährigen Regierungschefs Bojko Borissow mit 26,6 Prozent der Stimmen nur knapp vor der Allianz aus den Parteien "Wir setzen den Wandel fort" (PP) unter Kurzeit-Premier Petkow und "Demokratisches Bulgarien" (DB). Die beiden Gruppierungen kamen zusammen auf knapp 25 Prozent der Stimmen; sie stehen für einen strikten Antikorruptionskurs und mehr Rechtsstaatlichkeit im Land.

Inflation, Energie, Russland, Ukraine - es stehen Entscheidungen an

Das Bündnis PP-DB hatte sich vor der Wahl, wie auch schon in den Jahren zuvor, darauf festgelegt, nicht mit Borissow zusammenzuarbeiten. Ihm wird vorgeworfen, maßgeblich für die endemische Korruption im Land verantwortlich zu sein und mit Oligarchen gemeinsame Sache gemacht zu haben. Eine Koalition aus Gerb und der PP-DB ist daher unwahrscheinlich, wenn auch nicht auszuschließen. Alternativ könnte Borissow versuchen, mit den bei neun Prozent liegenden Sozialisten und der rechtsextremen Partei "Wiedergeburt" zusammenzuarbeiten. Beide gelten als prorussisch, was wiederum, zumindest nach offizieller Lesart, mit der Ausrichtung von Gerb kollidiert.

Allerdings besteht nach zwei Jahren Expertenregierungen im Parlament und in der bulgarischen Bevölkerung der dringende Wunsch nach einer gewählten Regierung, die endlich auch wieder überfällige Entscheidungen zur Inflationsbekämpfung, in der Energiepolitik und in der Außenpolitik fällt.

Denn zum einen ist der Dauerkonflikt mit dem benachbarten Skopje über die EU-Integration Nordmazedoniens und die nordmazedonische Sprache zuletzt wieder aufgeflammt, beide Seiten werfen einander neuerdings auch vor, russischen Interessen zu dienen. Zum anderen ist die Haltung des Landes gegenüber Wladimir Putin und dem Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Dauerthema in dem ehemaligen Warschauer-Pakt-Land.

Kommt jetzt schon wieder ein unpopuläres Übergangskabinett?

Zwar hat die jüngste Parlamentswahl trotz massiver Kreml-Propaganda nicht dazu geführt, dass prorussische Parteien insgesamt stark zulegen. Dennoch hat die Partei Wiedergeburt, die sowohl rechtsextreme Positionen als auch Kreml-Narrative bedient, vier Punkte zugelegt. Immerhin: Die zwei stärksten Gruppierungen, Gerb und PP-DB, sind sich einig über die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Beide befürworten auch Waffenlieferungen an das angegriffene Land.

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Das Parlament in Sofia hatte ursprünglich Ende 2022 ein erstes militärisches Hilfspaket für Kiew beschlossen. Präsident Rumen Radew hingegen, der in den vergangenen zwei Jahren seinen politischen Einfluss stark ausweitete, hat sich dagegen ausgesprochen; Bulgarien werde keine Waffen an die Ukraine liefern, solange das von ihm eingesetzte Übergangskabinett regiere.

Eine der wenigen erfreulichen Nachrichten ist die Wahlbeteiligung an diesem Wahltag, der keine Klarheit brachte und dem eine erneute Parlamentswahl im Herbst, nach den anstehenden Kommunalwahlen, folgen könnte. Sie ist nicht etwa, wie zu erwarten gewesen wäre, weiter gesunken, sondern lag mit 42 Prozent über der Teilnahme im vergangenen Herbst. Es kann nun jedoch Wochen dauern, bis eine mögliche Koalitionsregierung steht. Wahrscheinlicher ist, dass Radew erneut ein - unpopuläres - Übergangskabinett zusammenstellt.

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