Brexit:Das Schwierigste kommt erst noch

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Es ist gelaufen: Der Anti-Brexit-Aktivist Steve Bray packte beim britischen Parlament in London seine Plakate am Freitag erst mal ein - die Abgeordneten haben dem EU-Austritt Ende Januar zugestimmt. (Foto: Hollie Adams/Getty Images)
  • Das britische Unterhaus hat den Brexit zum 31. Januar formal beschlossen.
  • Die Gespräche über ein Handelsabkommen mit der EU können jedoch nicht vor März beginnen.
  • In Brüssel prüft man eine Regelung, wonach das Vereinigte Königreich eng an EU-Standards gebunden werden und so Zugang zum Binnenmarkt bekommen könnte.

Von Björn Finke, Brüssel, und Stefan Kornelius, Brüssel

Die Kommission und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stellen sich auf ein hartes Verhandlungsjahr mit Großbritannien ein. Während das neu gewählte Unterhaus den Austritt des Landes formell beschlossen hat, bereiten Kommission und Stabsabteilungen der großen Mitgliedsstaaten ihre Strategie für die Gespräche über die künftigen Beziehungen vor. Diese Verhandlungen betrachten Experten als die größte Hürde im Austrittsprozess.

Die Entscheidung des Parlaments, den Verhandlungsprozess auf ein knappes Jahr zu befristen, sehen Kommissionsbeamte und EU-Diplomaten als ein taktisches Manöver von Premier Boris Johnson. Der Schritt soll den Verhandlungsdruck zum Ende des Jahres 2020 erhöhen.

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Im Januar werden Vertreter der Mitgliedsstaaten mit der Kommission intensiv über die Verhandlungsziele beraten. Einen Monat darauf soll der EU-Ministerrat der Kommission dann das Mandat erteilen für die Gespräche mit London. Diese können also nicht vor Anfang März beginnen. Die Übergangsphase, in der sich fast nichts ändert, läuft Ende Dezember aus. Bis dahin muss ein Handelsvertrag abgeschlossen und ratifiziert sein, um eine harte Landung zu vermeiden.

Ein schlankes Abkommen, das lediglich die Einführung von Zöllen und Importquoten verhindert, ist Fachleuten zufolge in der Zeit durchaus verhandelbar, auch wenn ein EU-Diplomat das Vorhaben als "verdammt schwierig" bezeichnet. Berührt das Abkommen nur Themen, für welche die EU-Ebene alle Kompetenzen hat, geht die Ratifizierung schnell. Schwieriger sind sogenannte gemischte Abkommen, bei denen Passagen Kompetenzbereiche der Mitgliedsstaaten betreffen. Hier müssen nationale oder gar regionale Parlamente zustimmen; die Ratifizierung dauert mindestens zwei Jahre.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagt, die EU werde Prioritäten setzen und zunächst über Bereiche verhandeln, bei denen ohne Abkommen großer Schaden droht. Themen zu trennen und nacheinander zu debattieren könnte aber neue Probleme aufwerfen. Zum Beispiel könnten Mitgliedsstaaten, denen es wichtig ist, dass ihre Fischer Zugang zu britischen Gewässern haben, darauf bestehen, den Handelsvertrag für Güter parallel zum Fischereiabkommen zu besprechen. Sonst müssten sie befürchten, dass ihre Interessen unter die Räder kommen, würde es erst nur um Güterhandel gehen.

In Deutschland und Frankreich wachsen die Zweifel

Die britische Regierung hat bisher nicht zu erkennen gegeben, welche Wirtschaftszweige ihr besonders am Herzen liegen. Johnson betont nur, dass er die Freiheit erringen will, eigene Standards und Wirtschaftsregeln zu setzen. Doch der EU ist wichtig, dass es ein "level playing field" gibt. Der Fachbegriff bedeutet, dass britische Unternehmen keine unfairen Vorteile gegenüber EU-Rivalen haben dürfen, etwa durch niedrigere Umwelt- oder Sozialstandards.

Wegen Johnsons harten Auftretens wachsen jedoch in Deutschland, aber auch in Frankreich und bei der Kommission die Zweifel, ob eine detaillierte Vereinbarung mit London über derartige Standards und Bedingungen möglich ist. Darum wird eine neue Rechtsidee geprüft, die eine enge Anbindung an den Binnenmarkt erlauben würde. Sie wäre aber mit enormer Bürokratie etwa für die britische Industrie verbunden. Es geht um das sogenannte Äquivalenzprinzip. Die EU kann verkünden, dass die Vorschriften eines Nicht-EU-Staates gleichwertig zu Brüsseler Regeln sind. Dann gewährt die EU der Branche dieses Landes freien Zugang zum Binnenmarkt.

Das Prinzip wird auch bei der Umsetzung von EU-Recht in den Mitgliedsstaaten angewandt. Es sieht vor, dass die Staaten EU-Recht nicht schlechterstellen dürfen als nationales Recht. Dafür müssen sie die Beweisführung antreten. Auf Großbritannien angewandt hieße es, die britische Seite wäre verantwortlich für die getreue Umsetzung von Normen und Standards der EU und müsste das auch belegen.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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