Brexit:Die Demokratie in Großbritannien ist destabilisiert

Brexit-Gegner zeigen ihren Unmut in London

Sie haben die Sympathien verspielt: Ein Wagen bei einem Anti-Brexit-Umzug in London porträtiert die Spitzenpolitiker Theresa May, Boris Johnson, Michael Gove und David Davis (von rechts).

(Foto: AP)

Während der Streit um den EU-Austritt weitergeht, verkommen die beiden großen Parteien. Für die britische Demokratie ist das gefährlich.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Am Donnerstag haben es die Brexit-Fans in der Tory-Partei ihrer Premierministerin mal wieder so richtig gezeigt. Etwa 50 von ihnen stimmten bei einem politisch irrelevanten, die Regierung in keinerlei Hinsicht verpflichtenden Antrag gegen Theresa May. Es war eine Machtdemonstration, die nur eines zeigen sollte: Wir haben dich in der Hand.

May verhandelt mit Brüssel zum x-ten Mal über eine Lösung für die Grenze auf der irischen Insel, den sogenannten Backstop. Sie soll, wenn es nach dem Unterhaus geht, zwar einerseits das Beste für Großbritannien herausholen, aber gleichzeitig kompromissbereit genug sein, um einen No Deal, einen vertragslosen Austritt, zu verhindern.

Die jüngste Provokation der Gruppe von Hardlinern, die es auf einen No Deal anlegt, hatte Wutausbrüche von Kollegen zur Folge. Denn sie schwächt Mays Position in Brüssel, die nun weniger denn je darauf verweisen kann, dass immerhin ihre Partei hinter ihr stehe. Empörte Konservative haben ihre Parteifeinde daher aufgefordert, die Fraktion zu verlassen und sich zum Beispiel EU-Gegner Nigel Farage anzuschließen, der einst mit seiner Ukip-Partei den Brexit ideologisch vorbereitet hatte. Farage hat die Gründung einer neuen Gruppierung verkündet; sie soll "Brexit-Party" heißen und endlich einen EU-Austritt erzwingen, der nicht verwässert ist von den Bedenkenträgern und EU-Sympathisanten im Parlament.

Sollte May, was sich derzeit andeutet, einen weichen Brexit oder gar einen Kompromiss mit Labour anstreben, dürfte die Spaltung der Tories nur eine Frage der Zeit sein. Aber auch in der Labour-Party zeigen sich Spaltungstendenzen. Eine wachsende Zahl von Abgeordneten ist, man kann es nicht anders sagen, stinksauer auf ihre Parteiführung. Gründe gibt es genug: das Zögern von Parteichef Jeremy Corbyn, sich für ein zweites Brexit-Referendum einzusetzen, seine Weigerung, sich vom verhassten Präsidenten Venezuelas, Nicolas Maduro, zu distanzieren, seine Unwilligkeit oder Unfähigkeit, die antisemitischen Tendenzen in seiner Partei einzudämmen. Zentristische Labour-Abgeordnete reden mittlerweile öffentlich über einen Abschied aus Protest. Liberale Tories dürften sich anschließen; gemeinsam könnten sie den Verbleib in der EU zu erkämpfen versuchen.

Das Mehrheitswahlrecht hält Newcomer klein

Aber: Die Erfolgschancen neuer Parteien sind im Königreich vergleichsweise gering; das Mehrheitswahlrecht hält Newcomer klein, nur vereinzelt schaffen es charismatische Abgeordnete wie etwa Caroline Lucas von der Green Party, einen Parlamentssitz zu ergattern. Lucas sitzt allein für die britischen Grünen im Unterhaus.

Zugleich aber zerfallen die traditionellen "großen Kirchen", als die sich Tories und Labour gern bezeichnen. Sie müssen, eben weil es neue, kleine Parteien zu schwer haben, ein extrem breites Meinungsspektrum integrieren, das ist ihnen lange gelungen. Aber der Brexit hat die Integrationsfähigkeit der Volksparteien zerstört. Ein Graben trennt EU-Fans und -Gegner, Leaver und Remainer, egal, wo sie politisch stehen.

Die Demokratie in Großbritannien ist dadurch bereits destabilisiert. Zudem bringt die Umsetzung des Referendums den politischen Apparat an seine Grenzen. Sollten die Parteien ebenfalls zerfallen, hätte der Brexit auch die tradierte Machtbalance im Inneren zerstört.

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