Theresa May hat sich einen symbolträchtigen Ort für diese Rede ausgesucht. Die gotische Klosteranlage Santa Maria Novella liegt in der Nähe des Hauptbahnhofs von Florenz. Die Basilika, die es auf dem Gelände auch gibt, wurde im 13. Jahrhundert von Dominikaner-Mönchen gegründet. Künstler wie Giotto, Michelangelo oder Botticelli haben an den Werken mitgearbeitet, die ihre Wände zieren. Florenz sei das "historische Herz" Europas, ließ May wissen, und machte damit mehr deutlich, dass diese Rede nicht "business as usual" werden würde. Dennoch war die Entscheidung für Florenz, so hört man, wohl auch ein Stück weit ein Kompromiss. May wollte ihre Rede in einem europäischen Land halten, doch weil die meisten gerade etwas anderes zu tun hatten (Wahlen, Streiks, Regierungsbildung) wurde es am Ende eben Italien.
May skizziert dann auch keine finale Lösung der Neuordnung der Beziehungen, sondern viel mehr einen Kompromiss, mit dem sie wohl vor allem auf Zeit spielt. Sie schlägt eine Übergangsphase für die Neuordnung der Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU vor. Während dieser Zeit sollten die Beziehungen im Grunde unverändert bleiben, während man sich gleichzeitig auf die Neuerungen vorbereitete. So könnten europäische Staatsbürger sich während dieser Zeit auch weiterhin in Großbritannien niederlassen, müssten sich aber während der Neuordnung der Beziehungen im Land registrieren.
Eine Übergangsphase, so May, würde verhindern, dass Menschen und Unternehmen sich immer wieder auf neue Änderungen einstellen müssten. Im Zentrum dieser Idee stünde eine doppelte Garantie: Dass es eine Übergangsphase geben werde, einerseits, und dass diese nicht schleichend in einen neuen Normalzustand übergehen dürfe andererseits. Als möglichen Zeitraum schlug die Premierministerin zwei Jahre vor. Ihr sei bewusst, dass dies nicht die Lösung sei, die man sich in Europa wünsche, so die Britin. Viele der Verantwortlichen in Brüssel zögen wohl einen klaren Schnitt vor. Aber nur so ließe sich sicherstellen, dass beide Seiten die Zeit hätten, um sich auf die Änderungen einzustellen.
May wirbt in Europa um Verständnis für die Entscheidung ihre Landsleute
Zuvor hatten britische Medien berichtet, dass May etwa 20 Milliarden Euro für den Ausstieg bieten wolle. Eine konkrete Zahl nannte May in ihrer Rede jedoch nicht. Allerdings stellte sie klar, dass Großbritannien während der Übergangszeit Beiträge in den EU-Haushalt zahlen würde. Kein Mitgliedsland der EU müsse wegen des Brexits mehr Geld einzahlen oder fürchten, weniger herauszubekommen. "Großbritannien wird Verpflichtungen einhalten, die wir während unserer Mitgliedschaft gemacht haben", sicherte May zu. Sollte die Zahl von 20 Milliarden stimmen, dürfte dies die europäischen Partner jedoch kaum zufriedenstellen. Experten in Brüssel rechnen mit 60 bis 100 Milliarden Euro, die London der EU schuldet. Diese Rechnung umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten.
Zugleich warb May in ungewohnt emotionaler Art und Weise um Verständnis für die Entscheidung der Briten, die Union zu verlassen. Auch aufgrund seiner Geschichte habe sich das Königreich in der EU nie so heimisch gefühlt wie das bei anderen europäischen Ländern der Fall sei. Die Entscheidung, das Bündnis zu verlassen, sei aber keine Entscheidung gegen Europa, so May. Ausschlaggebend sei vielmehr der Wunsch der britischen Nation gewesen, wieder selbst Herr über sein Schicksal zu sein. Als Absage an europäische Werte und gemeinsame Ziele will sie das Brexit-Referendum keinesfalls verstanden wissen.
Folgerichtig versucht May dann auch den Brückenschlag zwischen Entfremdung und Widerannäherung und legt ihre Vision für eine neue "tiefe und besondere" Beziehung dar. Weil es noch nie einen Austritt eines Mitgliedsstaates gegeben habe, sei es nötig, ganz "neu und kreativ" zu denken. Infrage käme weder eine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum noch ein Freihandelsabkommen, wie es die EU mit Kanada ausgehandelt hat. Beides würde den engen, über Jahre gewachsenen Beziehungen nicht gerecht.
Wie genau diese neue Beziehung aussehen könne, diese Information bleibt May den Europäern schuldig. Obwohl die Beamten in Brüssel sich seit Beginn der Gespräche auf den Standpunkt stellen, dass über künftige Beziehungen erst gesprochen wird, wenn "ausreichender Fortschritt" bei wichtigen Trennungsfragen erreicht ist. Immerhin, ein paar Anhaltspunkte nennt May den Verantwortlichen in Brüssel, die zwar nicht anwesend, aber doch die Hauptadressaten dieser Rede sind: Nordirland und die Republik Irland würden auch nach dem Brexit nicht von physischen Grenzbarrieren getrennt werden. Alle EU-Bürger, die in Großbritannien arbeiteten und lebten, seien willkommen, dies auch nach dem Brexit wie bisher zu tun. Und: Britische Gerichte sollten die Urteile des Europäischen Gerichtshofs auch künftig berücksichtigen können. Auch das ist ein Schritt in Richtung der europäischen Partner. Bislang hatte ihre Regierung es abgelehnt, die Rechtsprechung des EuGH weiterhin anzuerkennen.
Schon kurz vor Beginn von Mays Rede hatte der Bürgermeister der Stadt am Rathaus EU-Flaggen gehisst. Als Statement gegen May wollte er das aber nicht verstanden wissen. Stattdessen schrieb er auf Facebook: "Florenz, die europäische Stadt des Dialogs und Kulturhauptstadt, heißt Premierministerin Theresa May willkommen, die das historische Herz Europas für ihre wichtige Rede gewählt hat." Dies sei eine Gelegenheit, ein "zunehmend vereintes, vielfältiges und starkes Europa" zu schaffen.
Wichtigste Details aus dem Redetext drangen schon vorab an die Presse, Mays Büro ließ wissen, die Premierministerin werde beide Seiten an ihr Verantwortungsgefühl erinnern, den Brexit "glatt und vernünftig" über die Bühne zu bringen. Der EU-Austritt solle nicht als eine Partnerschaft in Erinnerung bleiben, die beendet wurde, "sondern als eine Partnerschaft, die begann".