Brexit:Ein Deal binnen Stunden

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EU-Hauptquartier in Brüssel. (Foto: AP)

Plötzlich herrscht Optimismus: Die Brexit-Verhandlungsführer nähern sich einem Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union an.

Von Björn Finke, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London, Brüssel/London

Die Erleichterung war groß. Als die französische Regierung nach 48 Stunden wieder die Grenze zu Großbritannien öffnete, konnten am Mittwoch die ersten Züge, Lastwagen und Fähren den Ärmelkanal passieren. Doch so schnell werden sich die Lkw-Schlangen in England nicht auflösen. Die gut 4000 Lastwagen dürfen erst nach Frankreich, wenn ihre Fahrer einen negativen Corona-Test vorweisen können, mit dem die in Großbritannien aufgetauchte neue Virus-Variante ermittelt werden kann. Wegen dieser hatte die Regierung in Paris von Sonntagnacht an den Verkehr auf die Insel gestoppt. Downing Street war von der abrupten Blockade überrascht worden. Das Unverständnis in London war jedenfalls groß.

Die britischen Tabloids machten am Mittwoch sogleich einen Schuldigen aus: Emmanuel Macron. Die Daily Mail schrieb von "Monsieur Roadblock", die Sun nannte ihn "Covidiot" und hatte sogleich eine nicht ganz so nette Botschaft für den französischen Präsidenten parat: "Truck Off, Macron". Der Furor der Boulevardpresse wurde dem Vernehmen nach auch von der Regierungszentrale in London befeuert, die, wenn auch unter vorgehaltener Hand, offenbar ihrer Wut auf Paris freien Lauf ließ. In den britischen Medien wurde seit Beginn der Blockade am Kanal viel darüber spekuliert, ob Macron diese dafür nutzen will, die britische Regierung in den Brexit-Verhandlungen unter Druck zu setzen.

Die Europäische Union unternehme einen "letzten Anlauf"

Am Mittwoch versuchten der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter, noch vor Weihnachten ein Abkommen über die künftigen Beziehungen zu erreichen. Am Nachmittag gab es Anzeichen aus Verhandlungskreisen, dass es Grund zur Hoffnung geben könnte. Die britische Financial Times schrieb, dass ein Deal binnen Stunden, also im Laufe des Mittwochabends, erzielt werden könnte. Und die Nachrichtenagentur Reuters zitierte einen EU-Diplomaten mit den Worten, dass ein Brexit-Deal noch am Mittwoch zustande kommen könnte. Sowohl in London als auch in Brüssel herrschte auf einmal Optimismus, wenn auch mit der gebotenen Vorsicht.

Bereits am Dienstag hatte EU-Chefunterhändler Michel Barnier angekündigt, die Europäische Union unternehme einen "letzten Anlauf" für einen Vertrag mit Großbritannien, obwohl es immer noch tiefe Meinungsverschiedenheiten über die Fischereirechte gebe. In Brüssel unterrichtete er die Vertreter der EU-Staaten über den Verhandlungsstand. Demnach seien die Briten nun bereit, die Fangrechte der EU-Fischkutter über fünf Jahre hinweg nach und nach nur um 35 Prozent zu reduzieren, hieß es. Am Wochenende hatte London noch 60 Prozent gefordert.

Allerdings sagte Barnier bei Briefings von EU-Botschaftern und Europaabgeordneten, dass sich die 35 Prozent bloß auf bestimmte Arten bezögen und die Forderungen der Briten insgesamt weiterhin deutlich höher seien. Ohnehin ist die EU bislang nur zu Kürzungen um 25 Prozent bereit. Und die EU-Botschafter gaben Barnier offenbar mit auf den Weg, dass dies das allerletzte Angebot sei. Vor allem Frankreich zeige sich hart, sagte ein Teilnehmer eines Briefings.

Es sei besser, keinen Vertrag abzuschließen als einen schlechten

Der französische Europaminister Clément Beaune sagte dem Fernsehsender BFM Business am Mittwoch, dass er nicht über das Jahresende hinaus verhandeln wolle: "Wir müssen in der Lage sein, in den kommenden Tagen zu einem Abschluss zu kommen." Allerdings sei es besser, keinen Vertrag abzuschließen als einen schlechten, fügte er hinzu.

Gibt es bis Jahreswechsel keine Einigung auf einen Handelsvertrag, müssten am 1. Januar Zölle und Zollkontrollen eingeführt werden, denn an Silvester endet die Brexit-Übergangsphase, in der Großbritannien Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion ist.

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