Post-Brexit:Großbritannien verfehlt eigene Ziele bei Handelsverträgen

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Ein Befürworter des Brexits vor dem britischen Parlament. Die Versprechen des EU-Austritts haben sich bislang nicht erfüllt, sagen Experten. (Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Deals mit aller Welt sollten dem Königreich nach dem EU-Austritt vor zwei Jahren Wohlstand bringen. Doch London hinkt seinen Plänen deutlich hinterher. Premier Sunak stimmt die Briten auf weitere Probleme ein.

Großbritannien hat sein für den Jahreswechsel selbst gesetztes Ziel für Handelsverträge nach dem Brexit deutlich verfehlt. Weniger als zwei Drittel des Außenhandelsvolumens sind bislang durch Post-Brexit-Handelsverträge abgedeckt, wie ein Sprecher des britischen Handelsministeriums auf Anfrage bestätigte. Ursprünglich hatte die Regierung in London als Ziel ausgegeben, bis Ende 2022 sollten neue Handelsverträge 80 Prozent ausmachen. Die Möglichkeit, als souveräner Staat eigene Handelsverträge frei von EU-Regularien zu schließen, war eines der zentralen Versprechen des Brexits.

Nach den jüngsten verfügbaren offiziellen Zahlen sind bisher lediglich 63 Prozent des Außenhandels durch solche Verträge abgedeckt. Diese Zahl nannte der konservative Politiker James Duddridge, der unter Ex-Premierministerin Liz Truss Handelsstaatssekretär war, Ende September auf eine Frage der Opposition. Auf eine aktuelle Anfrage hin verwies das Handelsministerium erneut auf diese Antwort. Großbritannien habe mit der EU und 71 Ländern Handelsverträge geschlossen, mit denen das Vereinigte Königreich im vergangenen Jahr ein Handelsvolumen von 808 Milliarden Pfund (etwa 926 Milliarden Euro) gehabt habe, so Duddrige.

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"Wir haben uns hohe Ziele gesteckt, aber um diese zu erreichen, brauchen wir einen Deal mit den USA, und es ist deutlich, dass die Regierung Biden Handelsverträgen mit anderen Ländern keinen Vorrang einräumt", sagte ein Vertreter britischer Regierungskreise der Deutschen Presse-Agentur. "Wir sind bereit weiterzuverhandeln, sobald die USA es sind." In der Zwischenzeit werde man daran arbeiten, Handelshürden für britische Unternehmen auf dem US-Markt abzubauen und Verträge mit einzelnen Bundesstaaten zu schließen. Das britische Handelsministerium teilte mit, man wolle sich als nächstes auf Deals mit Indien, den Golfstaaten, Kanada, Mexiko, Israel und dem Indopazifik konzentrieren.

"Handelsverträge sind in der Praxis kompliziert, und der Rest der Welt sieht den Handel mit Großbritannien nicht als so wichtig an, wie Brexit-Befürworter das annehmen", sagt der britisch-deutsche Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lee, der an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lehrt. "Es stehen nicht alle geduldig in einer Schlange und warten darauf, mit Global Britain einen Vertrag zu unterschreiben." Dies gelte vor allem für die USA, die immer als "Hauptpreis" angesehen würden. Solche Verhandlungen mit der Regierung von US-Präsident Joe Biden seien derzeit wenig aussichtsreich. Einerseits schütze diese stark die heimische Wirtschaft. Außerdem mache der Streit zwischen London und der EU über Post-Brexit-Handelsregeln für Nordirland die Situation komplizierter, sagte Lee.

Handelsverträge mit anderen Ländern seien in vielen Fällen einfach aus EU-Zeiten weitgehend kopiert worden, von den Bedingungen her deutlich schlechter wie im Fall des EU-Handelspaktes oder einfach von der Größenordnung her nicht so bedeutsam für die britische Wirtschaft - etwa im Fall von Australien oder Japan.

Britische Wirtschaft mit Brexit-Deal unzufrieden

Der Handelspakt mit der EU bringt britischen Unternehmen einer Umfrage zufolge nicht die erhofften Vorteile: In einer Umfrage der British Chamber of Commerce gaben mehr als drei Viertel der befragten Firmen an, der Brexit-Deal helfe ihnen nicht dabei, ihren Umsatz zu steigern. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) haben den Angaben nach Probleme mit den neuen Handelsregeln.

Zum zweiten Jahrestag des Brexits erneuert auch die schottische Regionalregierung ihre Kritik am britischen EU-Austritt. "Die Schäden, die der Brexit angerichtet hat, nehmen immer weiter zu", sagte Angus Robertson, der im Kabinett unter anderem für auswärtige Angelegenheiten zuständig ist. "In den zwei Jahren seit dem Ende der Übergangsphase haben wir keine Vorteile darin gesehen, die Europäische Union zu verlassen." Vielmehr sei die britische Wirtschaft "grundsätzlich auf dem falschen Weg", und es gebe "keine wirkliche Alternative". Die Schotten hatten mit großer Mehrheit gegen den Austritt gestimmt.

Derweil stimmt der britische Premier Rishi Sunak die Bevölkerung des Königreichs in seiner Neujahrsansprache auf anhaltende Probleme im neuen Jahr ein. "Ja, 2023 wird uns vor Herausforderungen stellen, aber die Regierung, die ich anführe, setzt Ihre Prioritäten an die erste Stelle", sagte der Premier an die Bürger gerichtet. Für die schwere Wirtschaftskrise mit hoher Inflation und Rezession machte Sunak den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich. Davon werde die ganze Welt getroffen, Großbritannien sei keine Ausnahme. Experten sehen allerdings auch die Folgen des Brexits sowie grundsätzlich falsche wirtschaftliche Entscheidungen der regierenden Konservativen Partei als entscheidenden Faktor an.

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