Brandenburg: Stasi-Enthüllungen:Das Erbe der Diktatur

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Matthias Platzeck muss Farbe bekennen: Brandenburgs Ministerpräsident spricht über die Stasi-Fälle bei den Linken - er will retten, was von seiner Glaubwürdigkeit noch übrig ist.

Constanze v. Bullion

Es ist genau vier Wochen her, dass Matthias Platzeck eine neue Zeit einläuten wollte - nicht nur in Brandenburg, sondern im ganzen Land. 20 Jahre nach dem Mauerfall ziehe sich noch immer ein Riss durch die deutsche Gesellschaft, er trenne die Mehrheit derer, die angekommen seien in der Demokratie von der Minderheit, die außen vor geblieben sei, sagte er.

In der Klemme: Nach mehreren Stasi-Fällen in der Linksfraktion will Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck eine Regierungserklärung abgeben. (Foto: Foto: dpa)

Gemeint waren nicht nur die Arbeitslosen und Enttäuschten Ostdeutschlands, sondern insbesondere die akademischen Eliten der DDR, die Ex-SED-Leute, die politisch Belasteten, die Platzeck aus der inneren Emigration holen wollte.

Vergleich geht historisch daneben

Er forderte Versöhnung, nahm die Linkspartei in die Regierungsverantwortung, und um Rot-Rot auch dem Westen schmackhaft zu machen, bemühte er die bundesdeutsche Geschichte.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher, der schon durch seine Physis als Kriegsopfer zu erkennen und im Zweiten Weltkrieg im KZ gequält worden war, habe bereits 1951 die Größe besessen, Offizieren der Waffen-SS die Hand zu reichen.

Platzecks Vergleich ging nicht nur historisch daneben, es zeichnete sich darin auch schon der ganze Schlamassel ab, in dem Brandenburgs Ministerpräsident jetzt steckt. Kurt Schumacher wollte Versöhnung, keine Frage, aber sein Versuch, mit einer Geste des guten Willens die gesellschaftlichen Verheerungen des Nationalsozialismus zu überwinden, kam zu früh.

Die Bundesrepublik der fünfziger Jahre war ein Paradebeispiel dafür, wie Aufarbeitung nicht funktioniert: mit Versöhnung, der auf der Täterseite kein echtes Schuldeingeständnis vorausgeht, und mit Schweigen, wo öffentliche Auseinandersetzung nötig ist.

Platzeck muss seine Glaubwürdigkeit retten

Leider hat auch Platzeck den Weg des geringsten Widerstandes gewählt, er hat im Koalitionsvertrag einen "offenen und kritischen Umgang" mit der Vergangenheit angekündigt - und alles Weitere auf sich beruhen lassen. Jetzt haben statt seiner die Akten gesprochen.

Vier Wochen nach Regierungsantritt steckt die Brandenburger Koalition in einer existenzbedrohenden Krise, diesen Freitag muss Platzeck bei einer Sondersitzung des Landtags eine Regierungserklärung abgeben - und retten, was von seiner Glaubwürdigkeit zu retten ist. Das ist nicht viel.

Woche für Woche sind Stasi-Akten ans Licht gekommen, mindestens jeder Vierte der ursprünglich 26 Landtagsabgeordneten der Linken stand in der DDR im Sold des Staatssicherheitsdienstes. Bei drei von ihnen war das bekannt, die Brandenburger haben sie trotzdem gewählt oder gerade deshalb.

Vier weitere Abgeordnete aber sind in den Landtag gekommen, ohne dass sie der Öffentlichkeit frühere Stasi-Kontakte klar mitgeteilt haben. Da wurde geschwiegen, fehlende Erinnerung behauptet oder gelogen. In einem Fall wird noch geprüft, ob und was vertuscht wurde. In einem anderen geht es um einen Soldaten des Wachregiments Feliks Dzierzynski, der im Dienst der Stasi stand, aber keine Berichte geschrieben hat.

Genaues Hinschauen statt Hexenjagd

Die Akten sind von ganz unterschiedlicher Qualität, und wer sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, eine blindwütige Hexenjagd zu betreiben, wie sie Platzecks SPD jetzt beklagt, muss genau hinschauen.

Der Brandenburger Linksparteichef und Bundestagsabgeordnete Thomas Nord zum Beispiel, der vor 1989 einen Jugendklub in Prenzlauer Berg geleitet und junge Leute verpfiffen hat, die in der Kirche oder in Umweltgruppen aktiv waren, hat sich moralisch viel stärker diskreditiert als der Wachmann Michael Luthardt, der kein Spitzel war, sondern die DDR verteidigt hat wie ein GSG-9-Mann die Bundesrepublik. Luthardt aber hat versäumt, auf seiner Partei-Website seine Stasi-Einheit zu erwähnen - obwohl dies eine Karriere im öffentlichen Dienst nicht behindert hätte.

Im Osten fehlt ein Aufstand

Die Angst sitzt tief in der ostdeutschen Gesellschaft, sie ist Resultat eines Vereinigungsprozesses, der viele in den neuen Ländern total verunsichert zurückgelassen hat. Sie ist aber auch ein Erbe aus zwei deutschen Diktaturen, die beendet, aber nie bewältigt wurden.

Im Osten steht noch aus, was sich im Westen mit der Jahreszahl 1968 verbindet: ein Aufstand gegen die Lügen der Elterngeneration und die Etablierung einer Streitkultur, in der harte, auch persönliche Auseinandersetzungen nicht nur als Bedrohung empfunden werden.

Matthias Platzeck, der mit dem Attribut des aufrechten Bürgerrechtlers durchs Leben geht, hat der Mut zu einer offensiven Geschichtskontroverse gefehlt, die ihn zum Antreiber statt zum Gejagten gemacht hätte. Er muss jetzt teuer bezahlen dafür.

Kein Appetit mehr auf Rot-Rot

Das Ansehen seiner Person und das seines Landes hat großen Schaden genommen. Neuwahlen sind da kein Ausweg, denn sie würden die nötigen Aufräumarbeiten nur verzögern. Platzeck darf sie nicht der Linkspartei überlassen, denn sie ist bis in die Bundesspitze selbst tief in Stasi-Vorwürfe verstrickt.

Der Ministerpräsident muss endlich selbst anpacken und sich emanzipieren vom Mauschelkurs seines Vorgängers Manfred Stolpe, der den "Brandenburger Weg" erfunden hat - die nahezu bedingungslose Übernahme politisch belasteter DDR-Bürger in öffentliche Ämter.

Eines immerhin kann man Platzeck schon jetzt zugutehalten: Er hat dafür gesorgt, dass seiner Partei der Appetit auf Rot-Rot im Bund erst mal vergangen ist.

© SZ vom 04.12.2009/fvk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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