Bomben, Straßengefechte, Häuserkampf: In der zweitgrößten Stadt Nigerias eskaliert die Gewalt. Nahezu zweihundert Menschen sind dort gestorben. Eine radikal-islamische Sekte, Boko Haram, hat Nigeria den Krieg erklärt, und die breite Blutspur, welche die Angreifer durch die Zehn-Millionen-Stadt Kano im muslimischen Norden gezogen haben, lässt den Präsidenten Goodluck Jonathan hilflos erscheinen. Das Glück hat ihn schon lange verlassen, der Mann aus dem christlichen Süden wirkt gelähmt angesichts des Terrors im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas. Das Land kann daran noch zerbrechen, wenn die Regierung keine Strategie zur Abwehr der Attacken findet.
Früher machten andere Aufständische von sich reden: Rebellen im ölreichen Niger-Delta sprengten Pipelines und entführten Ölarbeiter, um Lösegelder zu erpressen. Jetzt aber bedrohen militante Banden aus dem Norden den Staat. So wie sich der Konflikt hochschaukelt, ist Boko Haram noch mörderischer als der geballte Zorn im Delta, der vorerst gezähmt erscheint.
Die radikalen Islamisten stemmen sich gegen Einflüsse des Westens, die angeblich Sünde sind. Und alle, die Boko Haram die Stirn bieten, müssen sich vor vernichtenden Attacken fürchten, jederzeit und überall. Es trifft Christen oder andersdenkende Muslime.
Doch am häufigsten zielen die Terroristen auf den Apparat des verhassten Staates selbst. Was der Geheimbund genau will und wer hinter ihm steckt, ist noch unklar; es gibt Hinweise auf Verbindungen mit al-Qaida. Und immer wieder ist zu hören, dass die Gruppe einen islamischen Gottesstaat errichten will - in einem Land, in dem fast jeder zweite ein Christ ist.
Die Sprengkraft solcher Pläne ist gewaltig, umso absurder wirken frühere Beschwichtigungsversuche der Regierung. Noch vor kurzem versprach sie, Boko Haram sei bald "Geschichte". Das Gegenteil ist zu befürchten: Alles deutet darauf hin, dass die Radikalen weiterbomben wollen, bis sie die junge Demokratie Nigerias bezwungen haben. Dieses Szenario muss nicht nur Nigerianer erschrecken, sondern die Weltgemeinschaft.
Das Land ist neben Angola der wichtigste Öllieferant des Kontinents. Und als afrikanische Vormacht am Atlantik zählt Nigeria zu den Schlüsselstaaten, die der Westen als Partner nicht verlieren darf. Wenn das Land mit seinen 160 Millionen Menschen auseinanderbrechen sollte, verwandelt sich Afrikas Westen in eine völlig unberechenbare Krisenzone.
Islamische Terroristen, Drogenhändler, Betrüger-Syndikate im Internet, Piraten auf dem Meer - all diese Übel keimen längst in der Region. Wenn betroffene Staaten nicht mehr die Kraft aufbringen, sich diesen Entwicklungen entgegenzustemmen, triumphieren die Verbrecherbanden. Sie operieren über viele Grenzen hinweg. Und sie sind nicht nur der Feind Nigerias, sondern auch Europas. Deshalb geht der Terror in Kano alle etwas an - so fern die alte Karawanenstadt vielen erscheinen mag.