Bodo Ramelow:"Passagen, die ich so nie geschrieben hätte"

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Bodo Ramelow dringt auf Änderungen im Programmentwurf und sieht die Pläne zur Verstaatlichung im Einklang mit Grundgesetz und Bibel.

Oliver Das Gupta

Bodo Ramelow, Jahrgang 1956, ist Vorsitzender der Linken-Fraktion im Thüringer Landtag und somit Oppositionsführer. Ramelow, der Mitglied im Vorstand der Linken ist, zählt zum realpolitischen Flügel seiner Partei.

sueddeutsche.de: Herr Ramelow, der Entwurf des Linken-Parteiprogramms liegt vor uns auf dem Tisch. Sie sind nicht zufrieden mit dem Papier?

Bodo Ramelow: Ich bin froh, dass der Entwurf nun vorliegt. Und ich bin froh um alle Widersprüche, die zu einer Kontroverse führen.

sueddeutsche.de: Das klingt nicht gerade euphorisch.

Ramelow: In dem Text finden sich Passagen, die ich so nie geschrieben hätte. Wenn wir beispielsweise von der Pressefreiheit reden, dann bedeutet das für mich: Redaktionsstatute.

sueddeutsche.de: Dieser Ausdruck findet sich nicht im Entwurf, stattdessen der Terminus: "Demokratisch kontrollierte Medien".

Ramelow: Nach meinem Dafürhalten ist damit die Stärkung innerer Pressefreiheit gemeint. Nicht der Konzern soll über Inhalte entscheiden, sondern seine Journalisten als Träger der vierten Gewalt, so meint es auch das Grundgesetz. Uns geht es um Freiheit, nicht um Zensur.

sueddeutsche.de: Warum schreibt Ihre Partei das nicht genauso, sondern etwas von Medienkontrolle?

Ramelow: Mir ist die Problematik bewusst, das ist holperig und anders lesbar. Die Linke darf nie in den Ruch kommen, die Pressefreiheit zu beschneiden. Deshalb ist eine Debatte über solche Textstellen nun notwendig.

sueddeutsche.de: Sehen Sie auch Änderungsbedarf beim Thema Verstaatlichung von Banken?

Ramelow: Sicher, auch hier muss man diskutieren und präzisieren. Aber der Handlungsbedarf ist doch offenkundig und zeigt sich auch dieser Tage wieder: Die hiesigen Banken haben sich unter den staatlichen Schutzschirm - 470 Milliarden Steuergeld - gestellt. Und nun zocken dieselben Geldhäuser gegen Griechenland. Das ist eine nationale Schande. Da ist zuvor ein Generalfehler gemacht worden.

sueddeutsche.de: Der da wäre?

Ramelow: Der Staat hätte die Hilfe an Bedingungen knüpfen müssen. Man hätte das vorgestreckte Steuergeld an Eigentumsrechte binden müssen, Geld gegen Eigentum. Die Schweden haben das so gemacht. Das hat nichts mit Zwangsverstaatlichung zu tun.

sueddeutsche.de: Über die entsprechenden Einlassungen im Programmentwurf dürften vor allem die Betonköpfe und DDR-Nostalgiker in Ihrer Partei frohlocken.

Ramelow: Einspruch! Hier geht es nicht um volkseigene Banken. Hier geht es darum, dass wir unvorstellbar viel Steuergeld in den Bankensektor pumpen, und null Einfluss darauf haben, was damit passiert. Die Banken denken nämlich nicht daran, in Krisenzeiten ebenso solidarisch zu handeln. Es geht schlichtweg um Eigentumserwerb.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Prognose Ramelow zur anstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen abgibt und was er zu Hardlinern in der Linken zu sagen hat.

sueddeutsche.de: Herr Ramelow, in Ihrer Partei hört man sehr schnell und schrill die Parole "Enteignen!".

Ramelow: Uns geht es nicht um entschädigungslose Enteignung. Mir gefällt auch nicht, wenn einige Leute von uns herumschreien nach dem Motto: "Alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, wird verstaatlicht."

sueddeutsche.de: Bleiben wir beim Beispiel Banken. Soll es einen dauerhaften staatlichen Bankensektor geben?

Ramelow: Kann, aber muss nicht. Der Staat kann sich doch bei trudelnden Banken "einkaufen", für einen Umbau sorgen, und nach ein paar Jahren Stück für Stück wieder aussteigen. Wichtig ist zuvorderst die Frage: Was für einen Nutzen hat es für die Allgemeinheit?

sueddeutsche.de: Die Linke strebt nach einem "demokratischen Sozialismus". Erkennen Sie, dass allein schon dieser Ausdruck vielen Menschen Angst macht?

Ramelow: Weil sie meinen, die Linke wolle die DDR wieder einführen, dabei wollen wir nur umsetzen, was uns der Artikel 15 Grundgesetz vorgibt. Da ist von Sozialisierung die Rede. Guido Westerwelle zieht es in die andere Richtung: Er hat nicht die Freiheit aller Bürger im Sinn, sondern die Freiheit der Konzerne, der Reichen und Profiteure. Die FDP denkt an ihre Spender, die Linke ans ganze Volk.

sueddeutsche.de: Die Linke bezieht sich aber nicht nur auf das Grundgesetz. Parteichef Bisky zitierte sogar bei der Vorstellung des Programmentwurfs Marx und Engels.

Ramelow: Und als evangelischer Christ verweise ich zudem auf die Bibel. Dort finden sich Aussagen zu Eigentum und Eigentumsbindung, die an radikaler Kraft nicht zu überbieten sind. Denken Sie an das Zinsverbot. Und der Apostel Paulus schieb an die Philipper: Das Eigentum sei dem Nutzen anderer unterworfen, und nicht dem eigenen.

sueddeutsche.de: Mit Zitaten aus dem Neuen Testament werden Sie wohl kaum bei innerparteilichen Hardlinern punkten.

Ramelow: Sie würden sich wundern! Im Übrigen: So lange Sahra Wagenknecht mich aushält, werde ich auch sie aushalten.

sueddeutsche.de: Die Parteichefs Bisky und Lafontaine beteuern, dass die Linke regieren will - auch an Rhein und Ruhr. Sollte Ihre Partei auch einen hohen Preis zahlen, um in Düsseldorf an die Schalthebel zu kommen?

Ramelow: Jede Partei, die eine Koalition eingeht, muss etwas von ihren Idealvorstellungen lassen, so ist das nun mal. Aber der Markenkern darf nicht beschädigt werden.

sueddeutsche.de: Was heißt das im Fall Nordrhein-Westfalen?

Ramelow: Wir dürfen uns nicht darauf einlassen, Hartz IV plötzlich schick zu finden oder die Rente mit 67.

sueddeutsche.de: Beide Beispiele fallen ohnehin nicht in die Landesgesetzgebung.

Ramelow: Eben, aber wissen Sie was: Auch in Thüringen gab es während der gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der SPD solche Angebote. Obwohl das Bundessache ist, wollten wir das partout nicht ausklammern.

sueddeutsche.de: Umfragen sehen in NRW eine Mehrheit für eine Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei. Sind Sie frohen Mutes?

Ramelow: Es ist doch so: Herr Rüttgers warnt vor uns, insgeheim plant er Schwarz-Grün - und die Grünen setzen auf die CDU. Die Konservativen machen derzeit ja alles, um den Grünen zu gefallen. Wenn Landessozialminister Laumann über Kinderarmut, über hungernde Schulkinder und Ganztagsschulen spricht, dann weckt er auch große Sympathie bei mir. Ich habe manchmal den Eindruck, die NRW-CDU überholt uns links. (lacht)

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wen Bodo Ramelow für das zwischenzeitliche Führungsvakuum der Linken verantwortlich macht und warum er die Thüringer CDU-Ministerpräsidentin Lieberknecht wertschätzt.

sueddeutsche.de: Die Linke hat sich in den vergangenen Monaten vor allem mit sich selbst beschäftigt, Oskar Lafontaine zog sich nach Saarbrücken zurück. Das sind keine idealen Voraussetzungen für einen Wahlerfolg in NRW.

Ramelow: Oskar Lafontaines Krankheit und seine politische Zukunft - auf diesem Thema ritten vor allem die Medien herum.

sueddeutsche.de: Das taten die Medien im Zusammenhang mit Dietmar Bartsch.

Ramelow: Zuerst suchte man einen vermeintlichen "Verrat" bei uns, nun stellte sich heraus, dass die Bunte eine halbseidene Agentur damit beauftragt hat, Lafontaine zu beschatten - ohne einen Beleg für irgendetwas zu finden. Das alles ist aufgeblasen worden, um die Linke kopflos und wuschig zu machen.

sueddeutsche.de: Ist dieser Blase auch Bartsch zum Opfer gefallen, der aus dem Amt des Bundesgeschäftsführers gedrängt wurde?

Ramelow: Nein. Das Zerwürfnis zwischen Lafontaine und Bartsch habe ich ja gar nicht bestritten. Und ich bleibe dabei: Die Art und Weise, wie das vor sich ging, hat mir überhaupt nicht gefallen. Diese fünf Männer hätten die Vertrauenskrise hinter verschlossenen Türen lösen müssen und nicht in aller Öffentlichkeit. Dann wäre es vielleicht auch beim Leviten-Lesen geblieben. Dass es zu einem Führungsvakuum kam, war die Schuld aller dieser fünf Männer. Aber jetzt ist das auch vorbei.

sueddeutsche.de: Und der progressive Pragmatiker Dietmar Bartsch kaltgestellt.

Ramelow: Als Fraktionsvize in der Bundestagsfraktion spielt er eine wichtige Rolle.

sueddeutsche.de: Sie meinen: Bartsch ist dort "geparkt" worden?

Ramelow: Er ist an einer Stelle, an der ich vorher war. Mich hat niemand als "kaltgestellt" bezeichnet.

sueddeutsche.de: Bartsch galt vielen als künftiger Parteichef, stattdessen übernimmt bald die Doppelspitze Lötzsch/Ernst. Hätten Sie keine Lust auf den Job?

Ramelow: Nein, ich sehe meine Aufgabe in Thüringen. Die künftige Parteispitze unterstütze ich voll und ganz. Wer hätte gedacht, dass wir einen linken Vorsitzenden bekommen, der Bairisch sprich? Lötzsch und Ernst sind sehr unterschiedlich - und das wird der Linkspartei guttun. Es ist das richtige Gespann, das uns die kommenden beiden Jahre führen wird.

sueddeutsche.de: In Ernsts bayerischem Landesverband geht es drunter und drüber. Wie will er da integrierend als Parteichef wirken?

Ramelow: Die bayerische Linke hat relativ wenige Mitglieder in einem Flächenland, das erschwert die Parteiarbeit und gibt kleinen Splittergruppen relativ großen Einfluss. Außerdem empfinde ich das Verhalten des Ko-Vorsitzenden als grenzwertig.

sueddeutsche.de: Sie loben für einen Linken-Politiker auffallend häufig die Konservativen, vorhin Herrn Laumann, aber auch manche Christdemokraten bei sich zu Hause, in Thüringen. Wie kommt das?

Ramelow: In Thüringen ist die CDU gespalten: Die einen haben uns höchstens funktional benutzt und als Kampfsau durchs Dorf getrieben. Der andere Teil ist umgänglich und pragmatisch.

sueddeutsche.de: Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht zählen sie zu Letzterem?

Ramelow: Ich habe nie verhehlt, dass ich Frau Lieberknecht wertschätze, auch wenn uns politische Inhalte deutlich unterscheiden. Die Ministerpräsidentin ist stets um Fairness und ein respektvolles Miteinander bemüht. Und wenn ich ein dringendes Anliegen habe, kann ich ihr eine SMS schicken und erhalte eine Stunde später eine Antwort.

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