Havel-Biografie:Der Präsident, der Macht und Moral zu vereinen schien

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Dichter, Denker, Staatschef: ein Bildnis von Václav Havel (1936-2011) in Prag. (Foto: Michael Cizek/AFP)

Daniel Kaiser nähert sich nüchtern dem Kult um den früheren tschechischen Präsidenten Václav Havel. Der Autor wird Havel gerecht, weil er ihn einfach in seinem Handeln abbildet.

Von Michael Frank

In diesen Zeiten der Plattheiten sehnt man sich nach wahren Mythen. Václav Havel, der Dichter als Präsident, verkörpert schon seit Langem namentlich im deutschsprachigen Raum einen ungebrochenen Idealmythos: die Fähigkeit, Moral und Macht, Poesie und Politik, Geist und Gesetz in einer Persönlichkeit zu vereinigen. Zahlreich sind die Versuche, sich dieser wohl einmaligen Persönlichkeit, die den Übergang unserer tschechischen Nachbarn vom totalitären Sowjetsystem in die Demokratie repräsentiert, biografisch zu bemächtigen. Allzu viel davon säuft im Sirup hagiografischer Anbetung ab. In seiner Heimat, wo sich Verherrlichung und Ablehnung anders als bei uns die Waage halten, sind die bislang lächerlichsten Hudeleien und zugleich die profundesten Würdigungen entstanden.

Der Band "Václav Havel. Der Präsident 1990 - 2003" gehört zu letzteren. Wohltuend kühl ist manche Darlegung. Der Verfasser Daniel Kaiser ist Journalist. Als einer der bekannteren und durchaus meinungsbildenden Publizisten der tschechischen Medienlandschaft der vergangenen zwanzig Jahre ist Kaiser ganz sicher kein Havel-Bewunderer. Dies immunisiert sein Werk gegen den grassierenden Schmonzes, auch wenn der Autor Respekt vor dem Protagonisten seiner Darlegungen nicht verhehlen will.

Kaisers Buch enthält keine ideologischen Verfärbungen, aber Missdeutungen

Kaiser ist nicht "Hávelist", er ist eher "Klausist", neigt also den weit konservativeren, wirtschaftsliberaleren und rigideren Ansichten des Havel-Mitstreiters und Gegenspielers Václav Klaus zu, der in dem Band naturgemäß eine besondere Rolle hat: als Finanzminister, als Ministerpräsident, als zweite überwölbend prägende Figur der letzten Jahre der Tschechoslowakei und der ersten Jahre der Tschechischen Republik nach der Teilung.

Klaus folgte Havel auch im Präsidentenamt, was letzterem nach eigenem Eingeständnis stets als schlimmster Albtraum erschien. Kooperation und Antagonismus, ja, Feindschaft dieser beiden Václavs prägen die jüngere Geschichte Tschechiens und Daniel Kaisers Buch, ohne dass es zu besonderen ideologischen Verfärbungen käme. Allerdings zu Missdeutungen, die dem Bemühen nach gerechterer Balance zwischen Sympathie und Antipathie für die beiden entspringt, umgab Havel doch meist Heldenverehrung, den arroganten Klaus meist herzliche Abneigung. So deutet Kaiser die Auseinandersetzungen um die tschechische Separatverfassung, die kurz vor dem Zerbrechen der Tschechoslowakei zu erarbeiten war, nur als nüchternes Ringen um Institutionen und Strukturen.

Tatsächlich war es ein erbitterter Kampf des präsumtiven Premiers Klaus gegen die Kompetenzen des präsumtiven Staatspräsidenten Havel, dessen manchmal durchaus herrische Eingriffe in die Alltagspolitik von Klaus als Zumutung, als politische Pestilenz empfunden wurden. Klaus hat übrigens dafür gebüßt: Jahre später selber Präsident, waren seinem eigenen herrischen Eingriffswillen enge Grenzen gesetzt, weil er selbst einst das Amt Havels wegen hatte zusammenstutzen lassen.

Irgendwie geht auch unter, dass Tschechien als Rechtsstaat seine heutige, einigermaßen akzeptable Gestalt wesentlichen Initiativen Havels verdankt. So schildert Kaiser die Errichtung des Verfassungsgerichts zu Brünn eher als tagespolitischen Schachzug denn als konstitutionelle Richtungsentscheidung. Trotzdem wird er dem Manne weithin gerecht, indem er ihn einfach in seinem Handeln abbildet. Denn dieses Buch ist keine Biografie im herkömmlichen Sinn, sondern eher eine akribische Zeichnung konkreter politischer Aktion, mit dem Präsidenten als Mittelpunkt und Hauptakteur. So belegt er korrekt, ohne es auszusprechen, dass Havel keineswegs ein glühender Parlamentarier war, sondern das Parlament eher als ein Orchester sah, das dem Stab des Dirigenten zu folgen hatte, wenn es denn nur der seine gewesen ist. Zugleich werden in spannenden, ausführlichen Kapiteln Geschick und Scheitern deutlich, Prag eine profunde Rolle in der europäischen und internationalen Politik zu sichern.

Dieser voluminöse Band ist nicht leicht zu lesen. Über den Verlauf der Samtenen Revolution erfährt man fast nichts. Er schildert aber in fast grausamer Genauigkeit Vorgeschichte und Verlauf der Teilung der Tschechoslowakei, beschönigt allerdings auch hier ein wenig die Rolle des Havel-Antipoden Klaus. Er schildert in gnadenlos ehrlicher Nüchternheit, wie die Regierung Kohl aus innenpolitischem Kalkül entscheidende Versöhnungsakte zwischen Bonn und Prag verspielte; wie Kohl so aus dem deutsch-tschechischen Versöhner Havel einen harten Pragmatiker wider Willen formte. Da bewährt sich Kaisers Hang zu Details, die manchmal arg singulär erscheinen, die aber letztlich Prozesse durchsichtig machen.

Daniel Kaiser: Václav Havel. Der Präsident (1990-2003). Aus dem Tschechischen von Silke Klein. Böhlau-Verlag Köln, 379 Seiten, 34 Euro. (Foto: Verlag)

In seiner Detailversessenheit liest sich dieses Buch manchmal wie ein Kriminalroman - und man muss sich gar nicht so detailliert für die Geschichte Tschechiens in Mitteleuropa interessieren, wie sie geschildert wird, um sie als Umkleidung der Figur des Präsidenten Havel doch spannend genug zu finden. Und wie Daniel Kaiser die politische Vereinsamung Havels in der letzten Präsidentenphase nachzeichnet, hat durchaus etwas Ergreifendes, ohne jedes Tremolo. Dies auch, wenn er das Schwanken des Mannes zwischen der Macht als Droge hie und Ernüchterung und Überanstrengung dort beschreibt.

Nur begreifen muss man das alles. Es gibt zwar ein Personenregister, das auf deren Auftreten im Text verweist. Viele der Protagonisten hätten dennoch eine präzise, knappe Darstellung in Herkommen und Funktion benötigt, bevor sie wie aus dem Nichts im politischen Geschehen auftauchen. Das Argument, das Buch - dem deutschen Band liegt ein drei Jahre altes tschechisches Original zugrunde - sei ja für tschechische Verhältnisse verfasst, greift nicht: Auch junge tschechische Leser müssen sich streckenweise alleingelassen vorkommen. Ob das Lektorat des Böhlau-Verlags überhaupt an der deutschen Ausgabe Hand angelegt hat, daran sind ernste Zweifel angebracht.

Havel-Junkies, Freunden der Tschechischen Republik und der Tschechen, Wissensdurstigen über Mitteleuropa sei dieses Buch anempfohlen, als Lehrstück über Rausch, Mühsal und Banalität von Größe. Denn letztlich lässt Kaiser dem Präsidenten Havel Gerechtigkeit angedeihen, mit, beiläufig eingestreut, so monumentalen Sätzen: "Havel verlor nie die Überzeugung, er sei in der Politik der Agent des Guten." Kaisers Buch macht so und dem Hang zu Kritiklosigkeit den Garaus, den berechtigten Nimbus der außerordentlichen Verdienste des Präsidenten Václav Havel für den Verlauf der jüngeren mitteleuropäischen Geschichte schmälert es keineswegs.

© SZ vom 22.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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