Bilanz:Steinmeiers erste hundert Tage als Bundespräsident

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Ende März in Paris. Elf Tage war er da im Amt. Inzwischen hat sich halbwegs eingewöhnt. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Er sei angekommen im Amt, ließ der SPD-Politiker neulich wissen. Wer ihm zuschaut, kann auch den Eindruck gewinnen, dass da einer noch auf etwas wartet.

Von Constanze von Bullion

Der Präsident sagt "so" und klatscht in die Hände. So als müsse jetzt mal Schluss sein mit dem ganzen Schwatzen und Posieren und endlich die richtige Arbeit beginnen.

Bloß - was ist eigentlich die richtige Arbeit in einem Amt wie diesem?

Donnerstag im Schlosspark Sanssouci in Potsdam, die Sonne scheint, der Specht klopft, und unter alten Eichen auf dem Klausberg haben die Obrigkeiten des Landes Brandenburg Aufstellung genommen. Ein Belvedere steht hier, ein Aussichtsturm von Friedrich dem Großen, gleich soll der Bundespräsident da hinaufsteigen, unter korinthischen Säulen ins Weite schauen und etwas sagen.

Frank-Walter Steinmeier ist auf Deutschlandtour, Brandenburg ist nach Bayern, Niedersachsen und Hessen die vierte Station auf seiner Reise zu den Befindlichkeiten der Bürger. Er wolle, hatte Steinmeier in seiner Antrittsrede gesagt, Menschen kennenlernen gehen, ihnen Mut machen und "die Partei ergreifen für die Demokratie". Hundert Tage ist das her, der Neue ist nicht mehr ganz neu. Er sei angekommen im Amt, ließ Steinmeier neulich wissen. Wer ihm zuschaut allerdings, kann auch den Eindruck gewinnen, dass da einer noch auf etwas wartet.

"So!", sagt der Bundespräsident also und lacht, nachdem er mit seiner Frau Elke Büdenbender im Potsdamer Schlosspark aus der Staatskarosse gestiegen ist. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke steht hier, dazu das halbe Kabinett. Als Steinmeier noch Parteipolitiker war, hatte er seinen Wahlkreis in Brandenburg. Man kennt einander also, ist per Du, steht ein bisschen herum, und als die Genossen unter der Kuppel des Aussichtsturms ankommen, da sagt Steinmeier wieder: "So." Als wolle er jetzt endlich mal was tun. Er setzt dann seine Unterschrift ins Goldene Buch der Stadt Potsdam.

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Was eigentlich die Botschaft dieser Reise sei, wird er etwas später an der Balustrade gefragt, wo man weit übers Land schauen kann. "Das ist vor allem das direkte Gespräch mit der jungen Generation", antwortet er und referiert dann das Reiseprogramm, das ihn auch zu Schülern und Azubis führen soll.

Kein Glamour-Paar wie die Kennedys

Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender, das ist kein Glamour-Paar wie die Kennedys, aber eines, das man mögen kann. Drei Monate sind die beiden jetzt im In- und Ausland unterwegs, und wo immer sie auftauchen, kann man Menschen begegnen, die die beiden sympathisch finden. "Mit dem kann man ja ganz normal reden", sagt sichtlich überrascht einer der Schüler aus Bayern, mit denen der Bundespräsident im März über den Chiemsee schippert.

"Sehr offen, sehr angenehm", sagt im Mai eine Ordensschwester über Elke Büdenbender, der sie ihren Kindergarten gezeigt hat. Wie schön es sei, endlich mal Zeit zu haben, den Menschen näher zu kommen, nach Jahren mit vollgestopftem Terminkalender als Außenminister, versichert Steinmeier wieder und wieder. Und doch, es fehlt da was.

Dabei hat diese Präsidentschaft mit einem Knall angefangen, und dem Publikum hat er gefallen. Steinmeier ist kaum vereidigt und hält im Bundestag seine Antrittsrede, da tut er, was er am besten kann: Anführern anderer Nationen auf die Zehen treten. "Präsident Erdoğan, gefährden Sie nicht das, was Sie mit anderen aufgebaut haben", ruft er mit einer Stimme, die geeignet zu sein scheint, Kontinente zu überbrücken. "Respektieren Sie den Rechtsstaat, Freiheit von Medien und Journalisten. Und geben Sie Deniz Yücel frei." Mensch, denken viele, der Steinmeier ist ja gar nicht so ein Leisetreter.

Die erste Auslandsreise führt dann nach Israel. Als Steinmeier losfliegt, scheint die Lage noch verfahren zu sein. Es hat Krach gegeben zwischen Außenminister Sigmar Gabriel und Israels Premier Benjamin Netanjahu. Steinmeier kommt, sieht und segelt so routiniert durchs diplomatische Gelände, dass es hinterher aussieht, als habe er quasi den gesamten Nahostkonflikt gelöst.

In Jerusalem legt er noch Steine auf die Gräber von Yitzhak Rabin und Schimon Peres, für Yassir Arafat gibt es einen Kranz. Das Vermächtnis der Friedensnobelpreisträger, so die stille Botschaft, soll eines Tages auch Steinmeiers sein. Auf der Heimreise ist der Präsident in Sonntagslaune, als eine lästige Frage kommt: Was unterscheidet seine neue Rolle eigentlich von der alten des Außenministers?

Frank-Walter Steinmeier wirkt jetzt manchmal, als sei ihm sein neues Auto zu klein und habe zu wenig PS. War er vorher mit schwerem Gerät unterwegs, um Weltkonflikte zu lösen, ist jetzt Feinarbeit an der Volksseele gefragt. Er wolle den Deutschen "Mut zur Demokratie" zusprechen und die "Kultur des Streitens" befördern, sagte er beim Antritt.

Manches, was dann kommt, klingt so, als stehe sein Redenschreiber noch unter dem Eindruck des Vorgängers. Und von einer neuen Streitkultur kann nicht die Rede sein, wo der Bundespräsident auftaucht. Auf Herrenchiemsee tragen Gymnasiasten ihm keine kritischen Fragen vor, sondern lustigen Poetry-Slam und reife Ansichten zur Verfassungsgeschichte. Im Brandenburgischen werden ihm selbstverständlich keine jungen Leute präsentiert, die sich vor Ausländern fürchten, sondern Europaschüler, die gegen Rassismus eintreten.

Und auch Steinmeier scheint entschlossen zu sein, die Menschen nicht mit unbequemen Fragen zu stören. Das Land brauche "Menschen, die gegen Vorurteile genauso entschlossen vorgehen wie gegen eine Naivität, die Probleme ausblendet statt sie zu lösen", sagt er, als er ein Projekt gegen Fremdenfeindlichkeit auszeichnet. Was das heißen soll? Es darf gerätselt werden.

Schon möglich, dass das Staatsoberhaupt vor der Bundestagswahl nicht in den Verdacht allzu großer SPD-Nähe geraten will. Möglich auch, dass dieser leidenschaftliche Außenpolitiker innenpolitisch eher wenig Text hat. Am Donnerstag steht Frank-Walter Steinmeier vor den Kolonnaden am Neuen Palais in Potsdam. Hier feiern Studenten den Abschluss ihres Studiums. "Nur der Wechsel ist wohltätig", ruft der Bundespräsident ihnen zu. "Wer sich entwickeln will, der muss Wandel akzeptieren." Es klingt, als wolle da jemand auch sich selbst ein kleines bisschen Mut zusprechen.

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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