Das Datum lässt aufmerken. Es war der 20. April 1933, Adolf Hitler hatte Geburtstag. Gut drei Monate zuvor hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die nationalsozialistische Herrschaft nahm ihren Anfang. Nun wurde an diesem 20. April 1933 in Berlin - wie in anderen deutschen Städten - die Liste der Ehrenbürger der Stadt um zwei Positionen erweitert. An Position 59 wurde Hitler aufgenommen, an 58 Reichspräsident Hindenburg, anerkannt werden sollten ihre "Verdienste um die nationale Wiedergeburt".
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches dauerte es nicht lange, bis Hitler die Ehrenbürgerschaft Berlins wieder aberkannt wurde. Das war nach Hitlers Schreckensherrschaft eine Selbstverständlichkeit. Wenn es aber um den Reichspräsidenten Hindenburg geht, wird die Geschichte für Berliner Politiker zum Streitfall, auch weil die Rolle Hindenburg als Generalfeldmarschall im Ersten Weltkriegs arg unterschiedlich bewertet wird. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat sich jetzt - nicht zum ersten Mal - darüber ereifert, ob Hindenburg Ehrenbürger der Stadt bleiben soll. Dabei kramten manche Parlamentarier leidenschaftlich die Schablonen des politischen Lagerkampfes hervor. Auch leistete man sich manche Beleidigung. Man fand einander unverschämt. Für irgendwas muss Geschichte ja noch gut sein.
Zwischen "Massenschlächter" und "charismatischer Heldengestalt"
Die Linke hatte den Antrag gestellt, Hindenburg als Ehrenbürger zu streichen. Ihrem Kulturexperten Wolfgang Brauer ging es dabei nicht allein um dessen Rolle als Wegbereiter Hitlers. Er bezog sich auch auf die Verantwortung Hindenburgs als General im Ersten Weltkrieg, der als "Sieger von Tannenberg" legendär geworden war und nach der deutschen Niederlage die Dolchstoßlegende entwickelte. Als "Militarist und Massenschlächter" sei Hindenburg für das Sterben von Millionen mitverantwortlich, sagte Brauer. Grüne und Piraten applaudierten, auch manche Sozialdemokraten.
Für die SPD antwortete jedoch der Abgeordnete Alex Lubawinski, dass Hindenburg "vielschichtiger" zu bewerten sei und von Historikern so eingeschätzt würde. Er nannte ihn einen pflichtbewussten Preußen, sprach von Verdiensten um das damalige Deutschland. Hindenburg habe der Weimarer Republik lange Stabilität gegeben. Die Berufung Hitlers zum Reichskanzler nannte Lubawinski einen verhängnisvollen Fehler, der die Verdienste des Generals "schmälert".
Der Sozialdemokrat störte sich vor allem am Grundansatz dieser Debatte. Lubawinski nannte es geschichtsvergessen, "mit der Gnade der späten Geburt mit einem dicken Radiergummi durch Deutschland zu gehen und alle Namen zu löschen, die heute nicht mehr in unser Weltbild passen". Hindenburg sei "als charismatische Heldengestalt des Ersten Weltkrieges" gleich mehrfach zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt worden. Diesen Kontext solle man sehen und nicht mit einer Art Gesinnungsprüfung durch die Geschichtsbücher gehen und löschen, was einem nicht passe.
Bei Hitler sei das anders, die Lage eindeutig. Hindenburg aber solle die Ehrenbürgerwürde behalten.
Der Christdemokrat Uwe Lehmann-Brauns griff die Linke sogar frontal an. "Die Sicherheit, mit der Sie in die historischen Zusammenhänge greifen, ist ebenso erstaunlich wie abstoßend", attackierte er den Abgeordneten Brauer. Dessen Antrag sei "von der derselben selektiven roten Geschichtswahrnehmung geprägt, die Sie 45 Jahre den Ihnen in der DDR Unterworfenen verabreicht haben!" Da würde einfach verschwiegen, dass Hindenburg der deutschen Demokratie über Jahre loyal gedient habe. Die CDU-Fraktion würde ihn nicht wie einen böswilligen Brandstifter aus der Erinnerung verjagen wollen.
"Wer hat uns verraten? - Sozialdemokraten!"
Die Abgeordneten bedienten sich vehement im Arsenal alter Parolen. Der Pirat Oliver Höfinghoff erinnerte mit Blick auf die Rede des Sozialdemokraten Lubawinski an einen alten Slogan. Dessen Rede habe nachträglich eine Begründung geliefert, "warum die Kommunisten in der damaligen Zeit gerufen haben: Wer hat uns verraten? - Sozialdemokraten!" Das brachte den Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Torsten Schneider, so in Rage, dass er den Piraten einen linksradikalen Spinner nannte, wofür Schneider gleich eine Rüge kassierte.
Das Spektakel erstaunt, wenn man bedenkt, dass in anderen Städten, in denen Hindenburg einst auch geehrt wurde, die Ehrenbürgerschaft recht souverän aufgehoben wurde. In diesem Januar entschieden zum Beispiel in Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt Kiel die SPD, Grüne und Linke gemeinsam mit der CDU-Fraktion, Hindenburg aus der Liste der Ehrenbürger zu streichen. Der Entscheidung gingen freilich - so heißt es im Stadtarchiv - lange und fundierte Auseinandersetzungen voraus, an denen sich auch Bürger beteiligten.
"Tag von Potsdam" 1933:Als das alte Preußen dem NS-Regime die Hand reichte
Am 21. März 1933 feierten die Nazis den Schulterschluss mit den alten monarchistischen Eliten. Die Bilder vom greisen Reichspräsidenten Hindenburg mit Hitler sollten das Regime zusätzlich legitimieren. Noch am selben Tag verschleppte die SA politische Gegner in Konzentrationslager.
In Berlin bleiben derweil klare Fronten bestehen. Die CDU will die Ehrenbürgerschaft halten. Linke, Grüne und Piraten wollen, dass man der "kaisertreuen Pickelhaube, die Hitler ins Amt gehievt hat, endlich diese Ehrung nimmt", wie es der Pirat Höfinghoff ausdrückte. Aber in der SPD gibt es dazu widerstreitende Ansichten, vielleicht sogar eine Mehrheit für die Aberkennung. "Wir haben uns unsere abschließende Meinung zu diesem Vorgang noch nicht gebildet", sagt ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Torsten Schneider. Der Antrag wurde vom Parlament in den Kulturausschuss überwiesen.
Der Ausgang der Geschichte ist letztlich doch erwartbar: Selbst wenn die Sozialdemokraten sich für die Aberkennung entscheiden, wird es kaum dazu kommen. SPD und CDU regieren in Berlin gemeinsam in einer Koalition. Das Bündnis ist keine Liebesgeschichte. Aber über so ein Thema, das ist in der SPD klar, wird man keinen Koalitionsstreit entstehen lassen.