Berlin: Nato-Treffen zu Libyen:Eine Lektion in Realpolitik

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Die Enthaltsamkeit der USA in der Libyen-Frage hat den europäischen Nato-Partnern einen seltenen Ausblick ermöglicht: den Blick in den Abgrund. Nur wenn Europa es schafft, geschlossen zu handeln, muss sich Gaddafi Sorgen machen.

Stefan Kornelius

Mehr Luftangriffe oder weniger Luftangriffe? Humanitäre Hilfe mit schwerbewaffneten Einheiten am Boden? Waffen an die Rebellen oder doch nur einen Batzen Geld, damit sie die Munition und die Panzerabwehrraketen auch bezahlen können, die heimlich auf Schiffen ins Land gelangen?

Noch gibt der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (neben US-Außenministerin Hillary Clinton und Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, rechts) den aufrechten Friedensfürsten - doch ein Zurück aus dem Libyen-Einsatz gibt es für die Nato nicht. (Foto: dapd)

Die Nato quält sich mit einem ganzen Bündel von Entscheidungen, die im Krieg gegen den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi gefällt werden müssten. Doch in Wahrheit geht es nur um die eine, entscheidende Frage, die keiner laut zu stellen wagt: Hat das Bündnis die Nerven, diesen Einsatz gemeinsam durchzustehen? Oder kommt es zum politischen Bruch?

Es gibt kein Zurück aus diesem Einsatz

Die Begleitmusik zum Libyen-Einsatz hat längst eine Phonstärke erreicht, die vor wenigen Wochen noch bewusst vermieden wurde. Während die UN-Resolution lediglich den Auftrag zum Schutz der Zivilbevölkerung erteilt hat, stehen heute die deutsche Kanzlerin und die amerikanische Außenministerin vor den Kameras und verlangen den Regimewechsel: Gaddafi muss weg. Und der britische Premier eilt nächtens zum französischen Präsidenten, um den militärischen Weg zu diesem Ziel zu diskutieren. Waffen lässt man unterdessen von Dritten an die Aufständischen liefern.

Und während der deutsche Außenminister den aufrechten Friedensfürsten gibt und dazu auffordert, über ein Ende des Einsatzes nachzudenken, erteilen die direkt an den Kämpfen beteiligten Nationen eine Lektion in Realpolitik: Es gibt kein Zurück aus diesem Einsatz, denn wer jetzt weicht, der macht den Weg frei für Gaddafi und zerstört die Allianz.

Realistisch sind also zwei Optionen: Entweder die Nato sorgt weiterhin für ein Patt, indem sie die Gaddafi-Truppen militärisch nicht vorankommen lässt, während die Aufständischen ihre Position festigen. In dieser Situation bleibt nur die Hoffnung, dass irgendwann eine politische Bewegung entsteht und Gaddafi zu welchen Konditionen auch immer das Feld räumt.

Das Patt ist unbefriedigend und - vor allem innenpolitisch - für die meisten Nato-Mitglieder riskant: Der Einsatz verliert die Unterstützung der Wähler, je länger er dauert.

Die Variante zwei heißt militärische Eskalation: Bewaffnung der Rebellen, noch mehr Luftschläge, die Beteiligung von noch mehr Nationen, am Ende vielleicht gar Bodentruppen, und wenn es Blauhelme zur Durchsetzung eines Waffenstillstands sein werden. Frankreich und Großbritannien wollen diese Variante, und es hat nicht den Anschein, dass die Nato darüber lange streiten wird.

Plötzlich muss Europa handeln

Die Mitglieder der Allianz wissen genau, dass sie gemeinsam in diesem Einsatz stecken. Der offene Bruch im Bündnis würde der Nato möglicherweise irreparablen Schaden zufügen. Dieses Risiko kennt auch Guido Westerwelle, der von allen Bündnis-Ministern den größten Widerspruch zwischen Worten und Taten zu erklären hat.

Dieser fast unausweichliche Zwang zur Geschlossenheit ist eine neue Erfahrung für die Nato-Mitglieder. Zu verdanken ist sie den USA, die mit einer in der Bündnisgeschichte einmaligen Enthaltsamkeit den europäischen Partnern einen seltenen Ausblick ermöglicht haben: den Blick in den Abgrund. Plötzlich muss der europäische Teil der Allianz handeln, plötzlich muss die Nato auch ohne die USA funktionieren. Funktioniert sie nicht, dann ist sie am Ende.

Erstaunlicherweise hat der Libyen-Einsatz trotz aller politischen und militärischen Probleme bisher kein großes Zerwürfnis provoziert. Deutschlands Eiertanz wird als landestypische Folklore abgetan, Frankreich wird trotz aller Eskapaden für seine Entschlossenheit gewürdigt, und die USA machen die neue Erfahrung, dass die Partner an einer Aufgabe auch wachsen können, wenn man sie nur lässt.

Diese politische Geschlossenheit ist die stärkste Waffe der Nato. Wenn Gaddafi nicht völlig verblendet ist, dann muss ihm das die größte Sorge bereiten.

© SZ vom 15.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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