Zu schön, um wahr zu werden, war die Idee. Per Urwahl ihres Präsidentschaftskandidaten hatten Frankreichs regierende (und resignierte) Sozialisten sich neues Leben einhauchen wollen. Doch jetzt: Operation vollendet, Patient tot.
Der Parti Socialiste ist zerrütteter denn je, die Kampagne hat alte Narben und neue Wunden aufgerissen. Der Sieger vom Sonntag, der Links-Utopist Benoît Hamon, hat keinerlei Aussicht, in die Stichwahl am 7. Mai gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen zu ziehen.
Wahl in Frankreich:Benoît Hamon, der linke Utopist
Der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen, die Legalisierung von Cannabis-Konsum und den Atomausstieg.
Die Trümmer der französischen Linken sind die Hinterlassenschaft des François Hollande. Der sozialistische Präsident kannte Frankreichs Strukturprobleme genau, er wollte seine Nation erneuern. Nur, zugleich scheute sich der frühere Parteisekretär, seine linken Genossen zu verprellen. Er zauderte, suchte Mittelwege - und erreichte nichts.
Valls war an Hollandes Fiasko hyperaktiv beteiligt
Seine Reförmchen fielen zu lau aus und kamen zu spät, als dass sie ihm einen Aufschwung und neue Jobs hätten schenken können. Zugleich agierte Hollande so ungeschickt, dass er dennoch die eigene Linke gegen sich aufbrachte. Manuel Valls, der frühere Premierminister und unterlegene Realo vom Sonntag, war an Hollandes doppeltem Fiasko geradezu hyperaktiv beteiligt. Er ist der Sack, auf den nun all die linken PS-Genossen einprügelten, die eigentlich den Esel Hollande meinten.
Die gesamte, völlig zerzankte Linke Frankreichs droht bei den Präsidentschaftswahlen im ersten Wahlgang unterzugehen. Ihr lauert der GAU, der größte anzunehmende Unfall - eine Stichwahl im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl zwischen Marine Le Pen, der rechtsextremen Europa-Hasserin, und Francois Fillon, dem wirtschaftsliberalen wie katholisch-konservativen Republikaner.
Dennoch, es gibt einen Grund, warum die eigentlich unversöhnlichen PS-Köpfe Hamon und Valls sich in der Nacht nach der Vorwahl so scheinbar zärtlich wie linkisch-verlegen bei einem Fototermin in der PS-Zentrale auf die Schultern klopften. Sie brauchen einander, total entzweit und völlig verzweifelt.
Der eine nämlich muss das Unmögliche auf der extremen Linken unternehmen: Hamon wird (garantiert vergeblich) versuchen, den irrlichternden Jean-Luc Mélenchon einzufangen für eine gemeinsame Liste mit dem PS. Keine Chance! Mélenchon, einst PS-Mitglied, hadert mit der eigenen Vergangenheit so sehr, dass er lieber die Rechte gewinnen als den Sozialisten eine Chance lässt.
Der andere wiederum möchte die rechte Flanke sichern: Manuel Valls soll verhindern, dass gemäßigte Sozialisten nach seiner Vorwahl-Niederlage nun massenhaft zu Emmanuel Macron überlaufen, dem Chef der Bewegung "En Marche". Der 39 Jahre junge Sozialliberale, erklärter Modernisierer und Europa-Euphoriker, ist der neue Star der Pariser Politik. Valls ist hochgradig motiviert, den Novizen zu schwächen - denn langfristig erkennt der Machtpolitiker Valls in seinem früheren Wirtschaftsminister einen Konkurrenten im Kampf um Wählerschichten in der gemäßigten, halblinken Mitte. Macron mag eine faszinierende Alternative für Frankreich anno 2017 verkörpern - als Überraschungs-Präsident jedoch wäre er das Ende aller Ambitionen von Valls.
Dies ist die tiefste Krise des PS seit 1971, seit der Gründung durch François Mitter-rand. Die Partei liegt in Schutt und Schande. Ob nach den Wahlen 2017 aus dieser Asche je ein Phönix erwächst und in welche Richtung dieser Vogel dann flöge - das weiß heute niemand. Weder Hamon noch Valls. Und schon gar nicht Hollande.