Belgien:Anschlag mit Ansage: Tod eines jungen Polizisten

Lesezeit: 2 min

Belgische Polizisten sichern den Tatort in Brüssel. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

Der mutmaßliche Täter stand auf einer Terrorliste - und hatte die Polizei kurz vor den tödlichen Stichen vor sich selbst gewarnt. Haben die Sicherheitsbehörden versagt?

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Es geschah am Donnerstagabend gegen 19 Uhr mitten in Brüssel. In der Nähe des Nordbahnhofs kam ein Polizeiauto vor einer roten Ampel zu stehen, ein Mann mit einem Messer näherte sich, das Unheil nahm seinen Lauf. Der Mann stach dem Polizisten, der am Steuer saß, in den Hals, eilte zur Beifahrerseite, stach dem zweiten Polizisten das Messer in den rechten Arm. "Allahu Akbar" habe der Mann gerufen, gab der zweite Polizist an, als er über Funk Verstärkung anforderte.

Die herbeieilenden Kollegen stoppten den Täter mit einigen Schüssen und nahmen ihn fest. Für den am Hals verletzten Polizisten kam jede Hilfe zu spät, im Krankenhaus konnte nur noch sein Tod festgestellt werden. Polizist Nummer zwei musste notoperiert werden, sein Zustand sei stabil, hieß es am Freitag. Die große Frage ist nun: Haben in dem Fall die belgischen Sicherheitsbehörden versagt?

Der Mann hatte um die Hilfe eines Psychologen gebeten

Wie sich am Freitag herausstellte, steht der mutmaßliche Täter Yassine N., 32 Jahre alt, auf einer Liste der belgischen Anti-Terror-Behörde Ocam, die dem Innenministerium und dem Justizministerium unterstellt ist. N. ist mehrfach vorbestraft und saß zwischen 2013 und 2019 im Gefängnis. Aber mehr noch: Der Mann hatte die Polizei erst am Donnerstagvormittag, einige Stunden vor der Tat, vor sich selbst gewarnt.

Aus eigenem Antrieb war er auf einer Polizeistation erschienen. Dort sprach er über seinen Hass auf die Polizei, drohte mit einem Anschlag - und bat, ein Psychologe möge ihm helfen. Die Polizei beantragte daraufhin bei einem Staatsanwalt die Zwangseinweisung in die geschlossene Psychiatrie, erhielt jedoch zur Auskunft: Dafür gebe es nicht die nötige rechtliche Basis, schließlich sei der Mann freiwillig erschienen. Beamte brachten ihn daraufhin in eine Klinik und überließen ihn der Obhut von Ärzten und Pflegkräften. Als sie sich einige Stunden später telefonisch nach ihm erkundigten, erhielten sie aus der Klinik zur Antwort: Der Mann sei wieder entlassen worden.

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Wegen seiner Schussverletzungen konnte der mutmaßliche Täter bis Freitagabend noch nicht vernommen werden. Die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren wegen Mordes und versuchten Mordes in einem terroristischen Zusammenhang gegen ihn eröffnet. Zu klären wird aber auch sein, wie ein Mann, der auf einer Liste von möglichen Terroristen steht und offensichtlich außer Rand und Band geraten war, unbeaufsichtigt bleiben konnte, nachdem er selbst die Polizei aufgesucht hatte.

In drei Wochen beginnt in Brüssel der große Terrorprozess, der die Anschläge vom 22. März 2016 aufarbeiten soll. 32 Menschen starben damals, verantwortlich war eine von Brüssel aus agierende Terrorzelle, die am 13. November 2015 schon die verheerenden Anschläge in Paris verübt hatte. Die belgischen Sicherheitsbehörden mussten sich damals schweres Versagen vorwerfen lassen. Es gibt nun keinerlei Hinweise, dass die Tat vom Donnerstagabend geplant war oder einem terroristischen Netzwerk zuzuordnen ist. Aber der Tod eines jungen Polizisten weckt Zweifel, ob die Sicherheitsbehörden wirklich dazugelernt haben.

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