Katalonien-Konflikt:Straßenschlachten in Barcelona eskalieren weiter

***BESTPIX*** Catalan Protesters Call General Strike Over Jailing Of Separatists

Wieder brennt es in der Nacht zum Samstag auf Barcelonas Straßen.

(Foto: Getty Images)
  • Nach einer Großkundgebung kommt es in Barcelona zu gewalttätigen Ausschreitungen.
  • Nach Angaben der Behörden wurden 54 Personen festgenommen. Mehr als 180 Menschen wurden den amtlichen Angaben nach verletzt.
  • Am Samstag forderte der katalanische Regionalpräsident Quim Torra die spanische Zentralregierung zu Verhandlungen auf.

Von Thomas Urban, Barcelona

Ausgebrannte Müllcontainer, angekohlte Plastikstühle von Straßencafés, Unmengen herumliegender Pflastersteine, Flaschen und Scherben. So sah es am frühen Morgen an einigen Ecken im Zentrum der katalanischen Metropole Barcelona aus. Straßendienst und Müllabfuhr hatten es nicht geschafft, vor dem Morgengrauen die Spuren der Nacht zu beseitigen.

Bis weit nach Mitternacht hatten sich Hunderte von vermummten Demonstranten eine Straßenschlacht mit der Polizei geliefert. Die Ordnungshüter setzten Schlagstöcke ein, auf sie prasselten harte Gegenstände aller Art nieder, darunter kleine Eisenkugeln, offenbar mit Zwillen abgeschossen. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein. Es kam auch zu Schlägereien unter Demonstranten, Verfechter der Unabhängigkeit Kataloniens prügelten sich heftig mit spanischen Nationalisten. Nach Angaben der Behörden wurden in der vergangenen Nacht 54 Personen festgenommen. Mindestens 60 Menschen wurden den amtlichen Angaben nach in Barcelona verletzt, darunter drei Polizisten und zwei Journalisten.

Es war damit die unruhigste Nacht einer Woche voller Demonstrationen. Am Montag hatte das Oberste Gericht im fernen Madrid die drakonischen Urteile für neun der führenden katalanischen Separatisten verkündet: zwischen neun und dreizehn Jahren Gefängnis. Fernsehsender zeigten am Freitag teilweise live in Großaufnahmen brennende Container und Molotowcocktails, die Vermummte in Richtung der Polizeiwagen warfen. Die Zusammenstöße beschränkten sich aber auf wenige Punkte im Zentrum.

Innenminister Fernando Grande-Marlaska, der "harte Hund" des sozialistischen Minderheitskabinetts in Madrid, wiegelte auf einer Pressekonferenz entpsrechend ab: Seine Experten hätten rund 400 Gewalttäter unter den Demonstranten ausgemacht. Die Krawalle seien kleiner ausgefallen, als viele Kommentatoren vorausgesagt hätten, die Polizei habe den gewaltbereiten Block auseinandertreiben können. Mehrere Dutzend Personen waren in der Nacht festgenommen worden. Grande-Marlaska sagte dazu: "Wem Straftaten nachgewiesen werden, den wird die ganze Härte des Gesetzes treffen."

Kommentatoren warfen Grande-Marlaska vor zu untertreiben. Er wolle den Eindruck vermitteln, dass die Zentralregierung in Madrid die Lage weiterhin kontrolliere. Doch auch der katalanische Regionalpräsident Quim Torra, einer der führenden Köpfe des Separatismus, sprach von einer "kleinen Zahl von Gewalttätern", bei einem beträchtlichen Teil handle es sich um "angereiste Provokateure" aus anderen Regionen Spaniens. Am Samstag forderte Torra die spanische Zentralregierung zu Verhandlungen auf. Seine Bewegung dränge die Regierung in Madrid dazu, sich mit ihr zu Gesprächen an einen Tisch zu setzen, sagte er vor Journalisten.

Den Krawallen war eine weitgehend friedlich verlaufene Großkundgebung vorausgegangen, an deren Rande sich aber eine Gruppe Vermummter Scharmützel mit der Polizei lieferte. Sie ließen sich auch von anderen Demonstranten nicht davon abhalten, Barrikaden zu errichten. Es kam dabei zu heftigen Wortgefechten: Ältere Teilnehmer der Kundgebung warnten die Vermummten, sie würden der geneinsamen Sache, dem Kampf für ein souveränes Katalonien, einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie gewalttätig würden und die Polizei provozierten.

Nur etwa ein Drittel der Einwohner Kataloniens definiert sich als "nur katalanisch"

Nach Angaben der Stadtpolizei von Barcelona nahmen an der Abschlusskundgebung 525.000 Menschen teil. Innenminister Grande-Marlaska verwies darauf, dass in früheren Jahren mehr als eine Million Menschen an deren Kundgebungen teilgenommen haben. Katalonien zählt rund 7,5 Millionen Einwohner, doch nur etwa ein Drittel definiert sich als "nur katalanisch". Ebenfalls rund ein Drittel bezeichnet sich als spanisch. Der Rest möchte beides sein: spanisch und katalanisch. Die Verfechter der Sezession vom Königreich Spanien haben bei Wahlen nie die Mehrheit erreicht.

Die Kundgebung markierte das Ende eines dreitägigen Sternmarsches aus fünf katalanischen Städten nach Barcelona, mit dem die Teilnehmer ihre Solidarität mit den Verurteilten ausdrückten. Fast das gesamte Kabinett des liberalkonservativen Regionalpräsidenten Quim Torra lief mit. Der forderte die Zustimmung Madrids zu einem weiteren Referendum über den künftigen politischen Status der wirtschaftsstarken Region.

Die Unruhen sind vor dem Hintergrund des derzeitigen Wahlkampfs zu sehen

Am 1. Oktober 2017 hatte die damalige Regionalregierung unter Carles Puigdemont ein Unabhängigkeitsreferendum durchführen lassen, obwohl das Verfassungsgericht in Madrid dies für illegal erklärt hatte. Nachdem Puigdemont drei Wochen später die Unabhängigkeit Kataloniens proklamierte, wurde er von der Zentralregierung abgesetzt. Er entzog sich seiner Festnahme durch die Flucht nach Belgien. Den im Land gebliebenen Mitgliedern seines Kabinetts, denen Mitwirken an der Organisation des verbotenen Referendums nachgewiesen werden konnte, wurde in Madrid der Prozess gemacht.

Die Unruhen sind auch vor dem Hintergrund des derzeitigen Wahlkampfs zu sehen: Am 10. November wird in Spanien ein neues Parlament gewählt, zum vierten Mal innerhalb der vergangenen vier Jahre. Keine der großen Gruppierungen ist daher an einer Deeskalation interessiert: Die katalanischen Separatisten müssen ihre Anhänger mobilisieren, um so viele Abgeordnete ins Parlament nach Madrid entsenden zu können, dass diese weiterhin die Bildung einer handlungsfähigen Regierung blockieren können. Denn eine schwache geschäftsführende Zentralregierung, wie sie der Sozialist Pedro Sánchez führt, liegt in ihrem Interesse.

Die Parteien des rechten Spektrums, die in Madrid in der Opposition sind, warnen wiederum die Wähler vor der "katalanischen Pest", die den spanischen Staat zerstören wolle, und hat mit diesen Parolen schon bei den letzten Wahlen viele Spanier mobilisiert. Premierminister Sánchez, der noch vor Jahresfrist für einen Dialog mit den Separatisten geworben hatte, setzt nun auch auf Härte.

Es ist also kaum mit einer Beruhigung der Lage während der nächsten drei Wochen zu rechnen. Das Zentrum Barcelonas dürfte noch einige Krawallnächte vor sich haben.

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