Baden-Württemberg:Die Revolution in der CDU ist verschoben

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Die gescheiterte Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann trug ihre Niederlage mit Würde. Sie will sich am Ende der Legislaturperiode aus der Landespolitik zurückziehen. (Foto: ANDREAS GEBERT/REUTERS)

Nach dem Absturz bei der Landtagswahl ist man sich in der Partei einig: Sie muss sich dringend erneuern. Eine Neuauflage von Grün-Schwarz, das ist die Hoffnung, an der sich viele Christdemokraten nun festhalten.

Von Roman Deininger und Claudia Henzler, Stuttgart

Man könnte glauben, man wäre bei den Siegern gelandet, am Montagvormittag im Foyer des Stuttgarter Maritim-Hotels. "Herzlichen Glückwunsch", ruft ein Anzugträger. "Dir auch", sagt der andere. Schulterklopfen, tiefe Blicke. Man kann nicht hinter die Masken der Herren gucken, aber es ist sicher nicht die pure Freude, die sich hier Bahn bricht. Sondern vor allem die Erleichterung. Es trifft sich hier die CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, und erleichtert sind all die Abgeordneten, die ihr weiterhin angehören dürfen. Es ist der Tag danach. Die Südwest-CDU, deren Herrschaft mancher noch vor zehn Jahren für gottgegeben hielt, ist bei der Landtagswahl am Sonntag abgestürzt auf 24,1 Prozent der Stimmen.

Wer in der CDU noch zu positivem Denken fähig ist, könnte nun sagen, es beginne eine neue Zeit. Aber auch der Start in diese gestaltet sich ruckelig. Die Landtagsfraktion will gleich am Montag ihren Chef wählen, für drei Jahre. Oder stopp, präziser: Der Chef will sich gleich am Montag wieder zum Chef wählen lassen. Doch damit kommt Wolfgang Reinhart nicht durch. Im Hotelfoyer sagt ein Abgeordneter, eine neue Zeit könne ja wohl kaum damit losgehen, dass sich ein 64-Jähriger erst mal den Dienstwagen sichert. Reinhart erhält dann nur eine Jobgarantie bis zum Ende möglicher Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Eine Neuauflage von Grün-Schwarz, das ist ja die Hoffnung, an der sich viele Christdemokraten in ihrem ziemlich freien Fall nun festhalten. Der personelle Umbruch dürfte damit aber nur aufgeschoben sein.

Jetzt schlägt die Stunde des Trümmermanns

Einig ist man sich bei der CDU und darüber hinaus immerhin darin, dass die gescheiterte Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann die krachende Niederlage am Wahlabend mit Würde getragen hat. Es gab diesen Moment am Sonntag, kurz nach halb sieben, es war dunkel geworden, da brach Eisenmann auf zu ihrem längsten Gang. Ihre Wahlkampagne und wahrscheinlich ihre politische Karriere waren gerade vor aller Augen in Scherben gefallen, nun musste sie vom Landtag hinüber in die Fernsehstudios, 300 Meter durch Nässe, Kälte und Dunkelheit. Ihr Mann war bei ihr, ihr Sprecher, sonst niemand. So schnell wird es einsam in der Politik. Ein paar Fotografen erspähten die Geschlagene, einer schmiss sich vor ihr in eine bodenseegroße Pfütze, für ein Bild aus besonderem Winkel. Eisenmann musste lachen. "Alles für Sie, Frau Eisenmann", rief der Fotograf. Und dann waren auch bald alle Fotos gemacht.

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"Ich übernehme die Verantwortung", sagte Eisenmann in jede Kamera. Sie versah den Satz lediglich mit der Fußnote, die CDU möge ihre inzwischen ein Jahrzehnt währende Krise doch bitte nicht allein mit der Spitzenkandidatin des Jahres 2021 erklären. Eisenmann kündigte am Sonntag an, keine Führungsaufgaben in der CDU anzustreben. Am Dienstag stellte sie dann klar, dass sie auch nicht als Kultusministerin oder in einem anderen Regierungsamt weitermachen wolle, falls die grün-schwarze Koalition fortgesetzt werden sollte.

Jetzt schlägt die Stunde des Trümmermanns der CDU, Thomas Strobl. Der Landesvorsitzende hat bereits beim schwarzen Hausputz nach den Niederlagen 2011 und 2016 den Besen geführt. Allzu gerne wäre er für seine Mühen mit einer eigenen Spitzenkandidatur belohnt worden, doch 2016 musste er sich Guido Wolf in einer Mitgliederbefragung beugen - und 2021 Eisenmann in einer internen Auseinandersetzung, die den vielen offenen Rechnungen und alten Verwundungen in der Südwest-CDU weitere hinzugefügt hat. Bei seiner Wahlanalyse hob Strobl dann auch kühl hervor, dass die Partei in den Umfragen erst abgerutscht sei, als gewisse Parteifreunde von dem "kooperativen Regierungsstil" abwichen, den er selbst als stellvertretender Ministerpräsident in der grün-schwarzen Koalition pflege.

Winfried Kretschmanns Vertrauen ist Strobls größter Trumpf in der eigenen Partei, wenn an diesem Mittwoch die Sondierungen beginnen - allerdings auch die der Grünen über eine Ampel mit SPD und FDP. Der Verhandlungsführer Strobl gelt sein graues Haar neuerdings mutig nach hinten, doch selbst wenn es ihm gelingt, Kretschmann abermals zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, wird ein heute Sechzigjähriger die CDU kaum in die Landtagswahl 2026 führen können. Alle reden von Erneuerung in der CDU, von der Notwendigkeit, als Partei jünger und weiblicher zu werden. Auch Strobl selbst sagt, dass die CDU "das Lebensgefühl der Menschen nicht mehr trifft". Das Problem ist erkannt, aber die Fortschritte bei der Behebung sind überschaubar: Zwölf neue Mitglieder hat die 42-köpfige Landtagsfraktion nach der Wahl, diese zwölf sind alle jünger als 50 Jahre. Die Zahl der Frauen hat sich von zehn auf elf, na ja, erhöht.

Das "städtische Lebensgefühl" spiele bei der CDU kaum eine Rolle

Der Bundestagsabgeordnete und Stuttgarter CDU-Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann hat in einem Rundschreiben an seine Mitglieder gerade eine Wurzel des Problems identifiziert: die Weigerung der Landtagsfraktion, ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht mit Landeslisten einzuführen. Die CDU hat ihre letzten Hochburgen auf dem Land - die Folge ist, dass es in der Fraktion immer weniger Abgeordnete aus größeren Städten gibt. "Dies wirkte und wirkt sich leider auch auf die Anmutung und inhaltliche Ausrichtung der Landespolitik in der Öffentlichkeit aus", schreibt Kaufmann. Das "städtische Lebensgefühl", das die Grünen so gut bedienen, spiele bei der CDU kaum eine Rolle.

Mit Spitzenpersonal, das den Grünen etwas entgegensetzen könnte, ist die CDU nicht gerade gesegnet. Einige Bundestagsabgeordnete wie Andreas Jung oder Thorsten Frei haben Potenzial für höhere Ämter angedeutet. Aber momentan spricht nichts dafür, dass sie sich in die christdemokratische Landespolitik mit ihrem von Streit vergifteten Boden locken lassen. Von vielen wird der schwäbelnd beredte Generalsekretär Manuel Hagel als Hoffnungsträger gehandelt - und als neuer Chef der Landtagsfraktion. Vielleicht fordert er schon im Mai Wolfgang Reinhart heraus. Hagel ist 32 Jahre alt und katholisch, er lebt mit Frau und zwei Kindern im kleinen Ehingen am Rand der Schwäbischen Alb, hat eine Sparkassenfiliale geleitet und gehört der Jägervereinigung an. Der Mann ist ein Talent, zweifellos. Aber Erneuerung würde mit ihm wohl vor allem Verjüngung bedeuten.

Nach der Wahl, vor der Wahl - Deutschland im Entscheidungsjahr 2021: Die Ära Merkel endet, aber was beginnt? Darüber diskutiert SZ-Politikchef Stefan Kornelius mit der Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und mit Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag, an diesem Mittwoch, 17. März, von 19 Uhr an bei einer Online-Veranstaltung im Rahmen der Reihe "SZ im Dialog". Via Livestream können Sie die Diskussion mitverfolgen und sich auch selbst einbringen. Hier geht es zur Anmeldung.

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