Dieter Distler weiß noch, wie er diesen Zeitungsartikel sah. Überschrift: "Kostenexplosion mit Ansage". Es ging um die Wahlrechtsreform in Baden-Württemberg, einen Landtag, der größer werden könnte. Heute sitzen da 154 Abgeordnete. Nach der nächsten Wahl könnten es, je nach Ergebnis, bis zu 220 sein. Fast 70 Abgeordnete mehr. Dieter Distler erinnert sich, wie ihn das aufgeregt hat, damals, im August 2023. Wegen der Kosten natürlich. "Die Gesetze werden ja nicht deshalb besser, weil sie von noch mehr Abgeordneten beschlossen werden." Seitdem kämpft der Pensionär darum, den Landtag zu verkleinern.
Ein 80-Jähriger gegen das Land Baden-Württemberg.
Seiner großen Mission ordnet der Pensionär vieles unter. "Es ist ein Vollzeitjob", sagt Dieter Distler, graue Haare, schwarzer Rolli, ruhiges Wesen. Am Garagentor seines Eigenheims im schwäbischen Bietigheim prangt ein großes Plakat. "XXL-Landtag verhindern" steht dort in roten Buchstaben, darunter, in größerer Schrift: "Unterstützen Sie das Volksbegehren 'Landtag verkleinern'". Im Esszimmer hat der frühere Chemiker zahlreiche Leitz-Ordner stehen, in denen Formblätter mit den Unterschriften von Unterstützern abgeheftet sind. Ein Stockwerk weiter oben ruft er am Computer die in Excel-Tabellen eingetragen Zahlen ab. Bietigheim: 1700 Unterschriften. Stuttgart: 1400 Unterschriften. Es sind aber etliche Gemeinden mit nur einer Unterschrift dabei. 10 000 Unterschriften muss er im ersten Schritt sammeln, jetzt fehlen ihm nur noch 500. Dann wäre er seinem großen Ziel einen Schritt näher.
Manchmal hat er das Gefühl, er kämpfe wie Don Quijote gegen Windmühlen
Distlers Geschichte ist auch ein Beispiel für den legendären schwäbischen Widerstandsgeist, der 2010 mit den Massendemonstranten gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 weltweit Schlagzeilen machte. Es ist aber auch eine Geschichte über die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis der von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ausgerufenen "Politik des Gehörtwerdens". Die Botschaft hinter dem Slogan lautet ja, dass die Anliegen der Bürgerschaft ernst genommen werden. Deshalb hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren einige Hürden für direktdemokratische Instrumente gesenkt.
Dieter Distler sagt, er habe manchmal das Gefühl, er kämpfe wie die Romanfigur Don Quijote gegen Windmühlen. Einmal wurde er sogar von der Polizei vorgeladen, weil er in Stuttgart ohne vorherige Anmeldung seinen Stand aufgebaut hatte. Das Verfahren "wegen Abhaltung verbotener oder nicht angemeldeter Versammlungen und Aufzüge" ist inzwischen eingestellt. Distler fühlt sich gleichwohl kriminalisiert, er, ein engagierter Bürger, ein Wechselwähler innerhalb des demokratischen Spektrums, der sein Kreuz schon bei CDU, SPD und FDP gemacht hat. Zwischendurch dachte der sechsfache Großvater daran aufzugeben. Aber dann wollte er seinen Enkeln zeigen, dass es sich lohnen kann durchzuhalten.
Und so sammeln Distler und seine Mitstreiter weiter auf Marktplätzen und gehen von Haus zu Haus. Wenn er Freunde in Konstanz oder andernorts besucht, nimmt er sein Material mit und stellt sich eine Stunde in die Fußgängerzone. Es ist ein zeitraubendes Geschäft und eines, das ins Geld geht: Druck der Formblätter, Porto, Fahrtkosten. Für jede Unterschrift, schätzt Distler, müsse man etwa einen Euro investieren. Er selbst hat für seine Mission nach eigenen Angaben bislang rund 5000 Euro ausgegeben.
Den nächsten Schritt könnten Distler und Mitstreiter nicht mehr allein stemmen. Denn sollte das Innenministerium nach Vorlage der 10 000 Unterschriften die Gültigkeit des Antrags auf ein Volksbegehren testieren, müssten die Initiatoren binnen sechs Monaten die Unterschriften von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten im Land sammeln, von rund 780 000 Menschen. Erst wenn diese Hürde genommen ist, muss der Landtag über ein Volksbegehren abstimmen. Wird es von den Abgeordneten nicht unverändert übernommen, kommt es schließlich zur Volksabstimmung.
Das Problem ist: Ob sein Antrag inhaltlich und formal zulässig ist, dazu erklärt sich das Ministerium erst, wenn Distler ihn mit den vorgegebenen 10 000 Unterschriften eingereicht hat. Kann also sein, dass er umsonst sammelt. Erst jüngst hat das Ministerium zwei Anträge auf einen Volksantrag als unzulässig abgelehnt, für die die Initiatoren bereits genügend Unterschriften gesammelt hatten. Das sorgt bei den Beteiligten für Frust und nährt so die Politikverdrossenheit, die durch direktdemokratische Elemente wie Volksbegehren eigentlich abgebaut werden sollen.
Einer der jüngst abgelehnten Anträge hatte ausgerechnet eine ähnliche Stoßrichtung wie der von Dieter Distler. Die FDP, so schien es, hatte sich von seiner Idee, gegen einen "XXL-Landtag" Stimmen zu sammeln, inspirieren lassen. Nun wollen die Liberalen gegen die Ablehnung klagen. Aber das kann dauern. Distler hofft deshalb, dass seine Initiative als korrekt eingestuft wird. Ganz sicher ist er sich aber nicht. "Die werden jedes Komma prüfen."