Austritts-Verhandlungen:Nur wer Größe zeigt, wird den Brexit zum Erfolg machen

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Seit Anfang der Woche verhandelt London mit Brüssel über den Ausstieg aus der EU. Fast alle erwarten davon nur Nachteile für beide Seiten. Doch das muss nicht sein.

Kommentar von Daniel Brössler

Diesem Anfang wohnte ein Schrecken inne. Zwar gaben sich der Franzose Michel Barnier und der Brite David Davis nach dem ersten Handschlag redlich Mühe und wollten keine Furcht verbreiten. Doch freundliche Worte allein ändern nichts daran, dass der EU-Chefunterhändler für den Brexit und sein britisches Pendant von nun an eine Expedition in unbekanntes, gefährliches Terrain anführen.

Die Europäische Union verfügt über eine in sechs Jahrzehnten gewachsene Erfahrung mit der Aufnahme neuer Mitglieder. Am Beginn steht normalerweise die Überzeugung, dass der Beitritt sowohl das neue Mitglied als auch die Union im positiven Sinne verändern werden. Fast logisch ergibt sich daraus nun die Erwartung, dass im umgekehrten Prozess beide Seiten schlechter dastehen müssen. Das kann, muss aber nicht so kommen. Die Verhandlungen sind riskant. Aber in ihnen steckt auch eine Chance.

Die Verhandlungen mit der EU können auch zum Erfolg führen

Wenn positive Optionen entstehen, dann deshalb, weil die EU sich nach dem schockierenden Votum der Briten für den Austritt selbst überrascht hat. Bis hinein in viele Regierungskanzleien bestand nämlich die Erwartung, dass ein Brexit die EU noch tiefer in die Krise treiben, Spaltungen vertiefen, einen Dominoeffekt auslösen und die Union schlimmstenfalls in ihrer Existenz gefährden könnte.

Es ist anders gekommen. Die Furcht vor einer gefährlichen Entwicklung entfaltet eine heilsame Wirkung, und Brexit-Britannien gibt ein abschreckendes Bild ab. Die EU kann nun aus einer Position der Stärke verhandeln. Zum einen, weil sie ungeachtet des Parallel-Universums einiger britischer Tories als übermächtiger Handelspartner akzeptiert werden muss. Zum anderen aber auch, weil der Versuch bisher kläglich gescheitert ist, die Europäer gegeneinander auszuspielen.

Ginge es nun wirklich nur um einen Businessdeal, wie es manche Helden des Brexit die Menschen im Königreich glauben machen wollen, wäre die Sache einfach. Erbarmungslos müsste die EU ihre stärkere Position ausspielen. Die britische Seite hätte nicht viel in der Hand, außer einer ultimativen Drohung, die keine ist: Ließe sie die Verhandlungen nämlich platzen, schadete sie niemandem so sehr wie sich selbst.

Ein ungeregelter Austritt würde Chaos erzeugen, hätte für die EU-Staaten unangenehme Folgen - für Großbritannien aber wäre er nicht beherrschbar. Beide Seiten wissen das. Die Stärke der EU wird sich nun gerade darin zeigen müssen, die britische Seite nicht unentwegt die eigene Größe spüren zu lassen. Das ist wichtig, weil es eben nicht nur ums Geschäft geht, sondern auch um das Zusammenleben nach dem Austritt.

Die EU ist kein Verein, der allen Mitgliedern immer nur Vorteile bietet

Es wird schwer werden, einerseits den Briten akzeptable Regeln zu bieten (etwa die ausstehende Schlussrechnung nicht zu überziehen), andererseits aber eine Mitgliedschaft light zu verhindern. Da könnten Nachahmer auf falsche Gedanken kommen. Die EU ist kein Verein, der allen Mitgliedern immer nur Vorteile bietet. Sie funktioniert, weil die Vorteile alle tatsächlichen oder vermeintlichen Nachteile aufwiegen - und zwar für alle.

Dieses Prinzip würde zerstört, öffnete die EU den Binnenmarkt für die Briten, ohne die damit einhergehenden Pflichten einschließlich der vollständigen Freizügigkeit für Arbeitnehmer einzuklagen. Die Verhandlungen werden immer dann an eine Grenze stoßen, wenn der Zusammenhalt der EU gefährdet würde.

Unter dieser Voraussetzung wäre jene "neue, tiefe und besondere Partnerschaft" denkbar, die Brexit-Minister Davis zu Verhandlungsbeginn diffus als Ziel ausgegeben hat. Sie müsste dann aber auch mehr beinhalten als nur ein Freihandelsabkommen. Die Frage ist, ob diese oder eine künftige britische Regierung über ein solches Modell nachdenken können.

Die Ideenlosigkeit und Halsstarrigkeit, die Premierministerin Theresa May ihre Parlamentsmehrheit gekostet haben, können auch die Brüsseler Verhandlungen ins Debakel führen. In London muss ein Verhältnis zur EU erdacht und vor allem öffentlich vertreten werden, das die irrationalen Phobien in Teilen der konservativen Partei ignoriert und den Gesetzen der Vernunft folgt. Dazu wäre Mut nötig.

Finanzminister Philip Hammond hat die Richtung gewiesen, als er für Handelsbeziehungen plädierte, die sich möglichst so anfühlen sollen wie die heutigen. Im Idealfall bliebe Großbritannien im Binnenmarkt. Und die EU? Hätte zwar ein Mitglied verloren, aber Handlungsspielraum gewonnen, weil plötzlich viele britische Blockaden entfallen. Die EU ist ein freiwilliger Bund von Demokratien. Aus einem ordentlich und fair organisierten Austritt wird gewiss kein Sieg, aber vielleicht doch ein Erfolg.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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