Spionage-Skandal um Kanzlerinnen-Handy:NSA durfte Merkel abhören

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Weit mehr als nur Verbindungsdaten: Einem Zeitungsbericht zufolge durften NSA-Mitarbeiter nicht nur aufzeichnen, mit wem Kanzlerin Merkel wie lange telefonierte. Sie waren auch autorisiert, die Gespräche tatsächlich abzuhören.

Mit wem hat Kanzlerin Angela Merkel wie lange telefoniert - und vor allem: Worüber hat sie gesprochen? Einem Bericht der New York Times zufolge waren Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA autorisiert, weit mehr als nur die Metadaten der Kommunikation der Kanzlerin abzufischen. Ihnen war es demnach auch erlaubt, Merkels Gespräche im wahrsten Sinne des Wortes abzuhören. Die New York Times beruft sich auf anonyme Beamte.

Ob jemals Gesprächsprotokolle in Geheimdienstberichten aufgetaucht oder gar dem Weißen Haus vorgelegt worden sind, konnten die Beamten laut New York Times nicht mit Sicherheit sagen. Sie hielten es aber für wahrscheinlich, dass einige Gespräche aufgezeichnet worden seien - allein, weil die NSA sich so lange auf Merkel konzentriert habe.

Obama will Geheimdienst-Aktivitäten prüfen

US-Präsident Barack Obama will nun die Aktivitäten seiner Geheimdienste überprüfen lassen. Obama räumte am Montag in einem Interview mit dem zu ABC gehörenden Sender Fusion ein, die Tätigkeiten der Geheimdienste müssten neu bewertet werden. So solle garantiert werden, dass die technische Machbarkeit in der Geheimdienstarbeit nicht automatisch mit dem gleichgesetzt werde, was auch umgesetzt werden solle.

Es müsse sichergestellt werden, dass das wachsende technische Know-how unter Kontrolle bleibe. "Wir geben die Richtung vor", sagte Obama. Doch in den vergangenen Jahren hätten sich die Fähigkeiten der Geheimdienste weiterentwickelt. Ähnlich hatte sich zuvor Obamas Sprecher Jay Carney geäußert.

Während Obama von der Überwachung des Handys von Bundeskanzlerin Merkel nichts gewusst haben will, zeichnen amerikanische Geheimdienstmitarbeiter ein anderes Bild von der Informationslage: Das Weiße Haus und das US-Außenministerium segneten die Überwachung von Spitzenpolitikern ihrer Verbündeten grundsätzlich ab, sagten zwei ehemalige hochrangige Geheimdienstbeamte der Los Angeles Times. Wenn ein Staats- und Regierungschef abgehört werde, bekämen der für das Land zuständige Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus und der US-Botschafter Berichte.

Präsident Barack Obama sei möglicherweise nicht konkret über NSA-Aktivitäten zur Überwachung des Mobiltelefons oder der E-Mails eines ausländischen Spitzenpolitikers unterrichtet worden, räumte eine der Quellen ein. "Aber gewiss wussten der Nationale Sicherheitsrat und ranghohe Leute in der Geheimdienst-Community ganz genau, was vor sich ging - und es ist lächerlich, etwas anderes zu behaupten", sagte der Beamte. An jeder Entscheidung, einen befreundeten Spitzenpolitiker auszuspionieren, werde das US-Außenministerium beteiligt, das das politische Risiko abwäge. Jede nützliche Information werde Obamas Antiterror-Beraterin Lisa Monaco und anderen Mitarbeitern des Weißen Hauses übermittelt.

US-Senat will Handy-Affäre untersuchen

Die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Senat, Dianne Feinstein, sagte, das Präsidialamt habe ihr mitgeteilt, dass die Sammlung von Daten über verbündete Länder nicht fortgesetzt werde. Sie unterstütze diese Entscheidung, sagte sie. "Mit Blick auf die Sammlung von Informationen über Spitzenpolitiker von US-Verbündeten durch die NSA erkläre ich eindeutig: Ich lehne das total ab", sagte Feinstein. Die demokratische Senatorin verlangt umfassende Aufklärung über die Geheimdienstaktivitäten ihres Landes.

Der Geheimdienstausschuss des Senats sei "nicht zufriedenstellend" über "bestimmte Überwachungsaktivitäten" informiert worden, beklagte Feinstein. "Der Kongress muss genau wissen, was unsere Geheimdienste machen." Eine derartige Überwachung von internationalen Spitzenpolitikern sei nur gerechtfertigt, wenn die Beziehungen der USA zu einem Land von "Feindseligkeiten" geprägt seien. "Ich glaube nicht, dass die Vereinigten Staaten Telefonanrufe oder E-Mails befreundeter Präsidenten und Ministerpräsidenten sammeln sollten."

Sie zeigte sich aber überzeugt, dass Präsident Barack Obama nichts von der Überwachung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wusste. Das Weiße Haus habe ihr versichert, dass die Überwachung verbündeter Regierungen nicht fortgesetzt werde. Künftig sollte der Präsident jeder Datensammlung dieser Art zustimmen müssen, forderte Feinstein. Die Senatorin hatte die NSA nach den Enthüllungen des früheren Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden mehrfach öffentlich verteidigt. Ihre Worte vom Montag wertete die Washington Post als Richtungswechsel.

Die NSA soll nicht nur im großen Stil weltweit Telefon- und Internetverbindungen überwacht, sondern auch Staats- und Regierungschefs ins Visier genommen haben. Die Enthüllungen belasten das Verhältnis der USA mit Europa. Auch die Beziehungen zu Brasilien und Mexiko leiden unter dem Spionageverdacht.

Am Montag begann eine Delegation des Europäischen Parlaments einen dreitägigen Besuch in Washington, um die Aufklärung der mutmaßlichen Bespitzelung europäischer Bürger und Regierungsmitglieder voranzutreiben. Noch in dieser Woche wird auch eine Delegation aus Deutschland in der US-Hauptstadt erwartet, um die jüngsten Spähvorwürfe anzusprechen. Die Gesandten, darunter Vertreter des Kanzleramtes sowie die Präsidenten des Bundesnachrichtendiensts und des Bundesamts für Verfassungsschutz, sollen unter anderem auf die vollständige Beantwortung der Fragenkataloge zur NSA-Affäre dringen, die deutsche Ministerien bereits vor Monaten an die US-Behörden geschickt hatten.

© Süddeutsche.de/AFP/Reuters/dpa/pje - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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