Außenminister besucht Tunesien:Westerwelle im "Musterland des Wandels"

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Viel Lob und Millionenzahlungen - das erhält Tunesien von deutscher Seite zugesichert. Außenminister Westerwelle bezeichnet das Land als Vorzeigenation des Arabischen Frühlings. Schließlich könne auch eine islamische Partei Demokratie leben, so eine zentrale Botschaft des Besuchs. Nur eine Meinungsverschiedenheit bleibt: Unter "handfester" Hilfe verstehen die Tunesier etwas anderes als Westerwelle.

Daniel Brössler

Es ist noch die alte Pracht, aber im Präsidentenpalast von Tunis herrscht neue Gelassenheit. Präsident Moncef Marzouki empfängt den deutschen Außenminister ohne Schlips. Am Revers trägt der schmächtige Herr das Zeichen der tunesischen Revolution. Marzouki gehörte zu den Opfern des Regimes des langjährigen Machthabers Ben Ali, saß auch im Gefängnis. Im Gespräch mit Guido Westerwelle beteuert der Präsident, sein Land könne nun ein Beispiel für die ganze Region setzen.

Alte Pracht mit neuer Gelassenheit: Präsident Moncef Marzouki empfängt Außenminister Westerwelle ohne Schlips. (Foto: dpa)

Das bleibt am Montag Westerwelles Stichwort für diesen Teil seiner dreitägigen Nordafrika-Reise. Er war in Algerien, wo die Revolution bisher kaum Früchte trägt, und in Libyen, wo noch Ungewissheit herrscht. Tunesien aber, lobt Westerwelle, habe das Zeug "zum Musterland des Wandels in der Region".

Bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung Ende Oktober war es die islamische Ennahda-Partei gewesen, die zur Enttäuschung der Liberalen mit 41 Prozent der Stimmen den Sieg davongetragen hatte. Sie führt nun eine Koalitionsregierung aus drei Parteien. In Europa hat das Ängste ausgelöst. Ängste, für die Außenminister Rafik Ben Abdessalem von der Ennahda-Partei kein Verständnis zeigt. "Diese Sorgen haben keinerlei Berechtigung", sagt er nach einem Gespräch mit Westerwelle vor der Presse. Die Erfahrung der tunesischen Revolution zeige, dass es möglich sei, den Islam mit modernen demokratischen Prinzipien zu verbinden. "Wir versuchen, den lebenden Beweis dafür zu liefern", sagt Abdessalem. Die tunesische Koalitionsregierung stehe ebenso für Religionsfreiheit wie für Menschenrechte.

"Die islamische Ausrichtung von Parteien ist ebenso wenig ein Problem wie eine christliche"

Vom deutschen Außenminister erntet der Tunesier an diesem Punkt keinerlei Widerspruch. Vielmehr stellt Westerwelle einen Vergleich an, von dem er selber sagt, dass er in Europa wohl nicht jedem gefallen werde. "Die islamische Ausrichtung von Parteien ist ebenso wenig ein Problem wie eine christliche", sagt Westerwelle. "Entscheidend ist die demokratische Gesinnung." Islamisch-demokratische Parteien müssten vom Westen "als respektierte Gesprächspartner angenommen" werden. Entschlossen, fast empört klingt Westerwelle während dieser Ausführungen. Fast so, als habe er bestimmte Ewiggestrige in der Heimat im Sinn, die den Aufstieg islamisch-demokratischer Parteien nicht ertragen können. Vielleicht ist es aber auch nur so, dass der Außenminister ein wenig an Horst Seehofer und die CSU denken muss, um sich für die Kernbotschaft seines Tunesien-Besuchs in Stimmung zu bringen.

Im Westen sei die Meinung anzutreffen, klagt Westerwelle, eine islamische Richtung sei unvereinbar mit Demokratie. "Das ist falsch. So falsch wie simpel", sagt er. An dieses Ergebnis des arabischen Frühlings werde man sich im Westen gewöhnen müssen - "mag es dem einen oder anderen gefallen oder nicht".

Westerwelles Gastgeber hören das gern, aber noch wichtiger ist ihnen konkrete Unterstützung. Noch immer leidet die tunesische Wirtschaft unter dem Einbruch der Revolutionszeit. Die Voraussetzungen für eine positive Wirtschaftsentwicklung seien geschaffen, wirbt Außenminister Abdessalem deshalb um deutsche Investoren. Westerwelle hat eine Unternehmerdelegation mitgebracht, die sich vor allem für erneuerbare Energien und den Gesundheitssektor interessiert. "Wenn die Demokratie gelingen soll, braucht sie wirtschaftlichen Erfolg", verkündet Westerwelle. Schließlich gehe es jungen Tunesiern nicht nur um Mitsprache, sondern auch um Wohlstand.

Unter "handfester" Hilfe verstehen die Tunesier ein bisschen etwas anderes

Was Deutschland dafür anzubieten hat, haben die Diplomaten des Auswärtigen Amtes in die Formel "strategische Transformationspartnerschaft" gepresst. Was das heißen soll, steht in einer Absichtserklärung, die Westerwelle und Abdessalem unterschreiben. Deutschland verspricht für 2012 und 2013 zusätzliche Mittel in Höhe von etwa 32 Millionen Euro für Projekte in Tunesien. Im Mittelpunkt steht ein "Beschäftigungspakt", der Tunesien mit acht Millionen Euro bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen helfen soll. Vor allem in den entlegenen, verarmten Gegenden in der Provinz sollen Berufsbildungszentren entstehen. Vorgesehen sind außerdem neue Stipendienprogramme sowie Maßnahmen zur Fortbildung tunesischer Beamter zum Zwecke der "guten Regierungsbildung".

Unter "handfester" Hilfe, wie Westerwelle sie zusagt, verstehen die Tunesier freilich noch ein bisschen etwas anderes. Abdessalem sagt, dass er die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für tunesische Fachkräfte begrüßen würde. Da wird Westerwelle das erste Mal schmallippig. "Wir werden", sagt er, "in diese Richtung noch manche Diskussionen führen."

© SZ vom 10.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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