Benjamin Netanjahu:Wahlkampf in eigener Sache

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Benjamin Netanjahu muss sich zwei Wochen nach der Wahl einer Anhörung stellen. (Foto: AP)
  • Der israelische Ministerpräsident Netanjahu will um jeden Preis wiedergewählt werden und versucht, die Wähler durch Annexionspläne im Westjordanland für sich zu gewinnen.
  • Denn nur als Regierungschef könnte er sich vor Anklagen in drei Korruptionsfällen schützen.
  • Doch Umfragen zufolge stehen Netanjahus Chancen schlecht, erneut eine rechte Regierung zu bilden.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Dieses Bild wird vom Wahlkampf in Erinnerung bleiben: Bei einem Auftritt in der Stadt Aschdod ertönten Sirenen, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wurde von Bodyguards von der Bühne gezerrt. Eine der zwei Raketen, mutmaßlich vom Islamischen Dschihad aus dem Gazastreifen abgefeuert, zwang den israelischen Premierminister dazu, in Deckung zu gehen.

Wenige Stunden zuvor hatte er die Annexion von weiten Teilen des Westjordanlandes angekündigt, beginnend mit dem Jordantal. Am Sonntag legalisierte die Regierung dann einen Außenposten von Siedlern im Jordantal. Am Montag gab er bekannt, auch die jüdische Enklave in der von 200 000 Palästinensern bewohnten Stadt Hebron annektieren zu wollen.

Mit dieser Aussage, exakt eine Woche vor der Parlamentswahl an diesem Dienstag, wollte der Politiker des rechtsnationalen Likud um Stimmen der etwa 400 000 Siedler werben. Auch wenn er dadurch mit den Parteien des rechten Blocks konkurriert, mit denen er eine Koalition bilden will: Der 69-Jährige strebt um jeden Preis eine fünfte Amtszeit an.

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Für Netanjahu geht es um mehr als einen Wahlsieg. Nur als Regierungschef kann er seinen Plan umsetzen, sich mit einem Immunitätsgesetz vor Anklagen in drei Korruptionsfällen zu schützen. Zwei Wochen nach der Wahl muss er sich einer Anhörung stellen, dann wird über die Anklagen entschieden.

Netanjahu, der häufig als "politischer Zauberer" tituliert wird, hat schon viele Krisen überstanden. In diesem Wahlkampf hatte er jedoch mit Querschlägen auch von Verbündeten zu kämpfen. Die Bedrohung durch Iran war erneut ein von Netanjahu befeuertes Dauerthema. Aber just US-Präsident Donald Trump fiel ihm in den Rücken mit der Ankündigung, er wolle sich mit dem Erzfeind Israels treffen.

Außerdem kamen Netanjahu seine wichtigsten Ansprechpartner in Washington abhanden: der von Trump gefeuerte Sicherheitsberater John Bolton und Nahost-Verhandler Jason Greenblatt. Hatte Trump Netanjahu vor der Wahl im April noch mit der Anerkennung der von Israel annektierten Golanhöhen unterstützt, so stellte er nun nur ein Verteidigungsabkommen in Aussicht.

Netanjahu droht ein Déjà-vu

Glaubt man den Umfragen, stehen Netanjahus Chancen, nach zehn Jahren erneut eine rechte Regierung zu bilden, schlecht. In zwei der letzten Umfragen führt knapp das zentristische blau-weiße Bündnis von Benny Gantz, das liberale Kräfte und weiter rechts stehende Politiker vereint. In zwei anderen Umfragen liegt Netanjahus Likud-Partei, die die liberale Kulanu-Partei integriert hat, vorn. Netanjahu droht ein Déjà-vu: Keine der Umfragen geht davon aus, dass es für Likud reichen könnte, gemeinsam mit den ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum sowie der Partei Neue Rechte eine Koalition zu bilden.

Netanjahu ist wie nach der Wahl im April auf Avigdor Lieberman als Mehrheitsbeschaffer angewiesen. Der ehemalige Verteidigungsminister hatte Netanjahu die Gefolgschaft versagt, woraufhin der Ministerpräsident nach den laut Gesetz möglichen 42 Verhandlungstagen im Mai sein Scheitern eingestehen musste. Er setzte Neuwahlen durch, um zu verhindern, dass Präsident Reuven Rivlin seinen knapp unterlegenen Herausforderer Gantz den Regierungsbildungsauftrag erteilte.

Netanjahus Plan, Lieberman die Schuld an den unbeliebten Neuwahlen zuzuschieben, ging nicht auf. Liebermans Widerstand dürfte am Dienstag sogar belohnt werden. Durch sein Eintreten für eine Reduzierung des religiösen Einflusses auf die Politik wird seiner nationalistischen Partei Unser Haus Israel eine Verdoppelung der Sitzanzahl in der Knesset prophezeit.

Die Partei Neue Rechte, in der die rechte Union und die Partei der ehemaligen Minister Ajelet Schaked und Naftali Bennett aufgegangen sind, konkurriert mit Netanjahu um die Stimmen der Siedler. Nicht Teil dieses Bündnisses ist die extremistische Jüdische Kraft, obwohl Netanjahu um einen Zusammenschluss geworben hatte, um keine Stimmen am rechten Rand "zu verschenken". Ob diese Partei den Sprung über die 3,25-Prozent-Hürde schafft, ist laut Demoskopen unsicher.

Auch die Arbeitspartei, die jahrzehntelang Israels Geschicke bestimmt hatte, muss zittern. Ihr droht das historisch schlechteste Ergebnis. Der erneut zum Parteichef gewählte Amir Peretz hatte sich geweigert, einem vom früheren Parteifreund und Premier Ehud Barak geschmiedeten linken Bündnis beizutreten. Neben Baraks jetziger Partei gehören Meretz und die von der Arbeitspartei abgesprungene Politikerin Stav Schaffir der Demokratischen Union an.

Auch die vier arabischen Parteien haben sich entschieden, wieder als Gemeinsame Liste anzutreten. Sie werden vor allem von arabischen Israelis, die rund ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, gewählt. Spitzenkandidat Ayman Odeh hatte Widerstand auch in den eigenen Reihen hervorgerufen mit seiner Ankündigung, das arabische Parteienbündnis könnte Teil einer Mitte-links-Regierung sein. Aber laut Umfragen reicht es ohnehin nicht zur Regierungsbildung. Überdies hat Gantz ausgeschlossen, dass Blau-Weiß die gemeinsame Liste in eine Koalition holen würde.

Gantz, der ehemalige Generalstabschef der Armee, gewann als Politiker zwar an Sicherheit, aber Netanjahu stahl ihm mit seinen Auftritten als Staatsmann auf internationalem Parkett die Show. Netanjahu präsentierte sich auf Plakaten mit Trump und Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Die Botschaft dazu lautete: "In einer anderen Liga". Politisch stimmen beide jedoch in vielen Punkten überein.

Gantz will nicht gemeinsam mit Netanjahu regieren

Als Netanjahu seinen Vorschlag zur Annexion des Jordantals machte, verwies Gantz darauf, dass er selbst schon früher gesagt habe, dieses für Israels Sicherheit wichtige Gebiet dürfe nicht aufgegeben werden. Im Gegensatz zu Netanjahu tritt Gantz allerdings für Verhandlungen mit den Palästinensern über eine Staatsgründung ein.

So gehen die meisten Experten davon aus, dass am Ende eine "Regierung der nationalen Einheit", wie die große Koalition in Israel genannt wird, als einzig mögliche Konstellation herauskommt. Auch Lieberman tritt für eine Einheitsregierung ein - an der er aber beteiligt werden will.

Gantz hat mehrmals erklärt, mit einem in Korruptionsaffären verstrickten Netanjahu nicht in einer Regierung sitzen zu wollen. Auch deshalb hofft Netanjahu mit seinem Likud auf Platz eins zu landen, um die Bedingungen diktieren zu können. Ein Ziel, das er sich vor der Wahl im April gesteckt hatte, hat er jedenfalls durch den zweiten Urnengang in diesem Jahr schon erreicht: Seit Juli regiert er länger als Israels Staatsgründer David Ben-Gurion.

© SZ vom 16.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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