Ausbeutung durch UN-Blauhelme:Sex gegen Baby-Artikel - ein demütigender Tauschhandel

Der britische Genderforscher Paul Higate, der an der Universität Bristol Maskulinität und männliche Rollenbilder im Militär erforscht, gibt zu bedenken, dass oft Struktur und Individuum zusammenwirkten: "Einerseits sind die Soldaten in den Regionen in einer deutlichen Machtposition, die sich leicht ausnutzen lässt. Andererseits beobachten wir eine Verschiebung moralischer Werte bei manchen Soldaten, die auch damit zusammenhängt, dass Missbrauchsfälle so gut wie nie sanktioniert werden." Higate sprach während seiner Forschungsarbeiten mit Blauhelmsoldaten - auch mit solchen, die Sex mit Frauen vor Ort hatten. Einvernehmlich, wie sie versicherten. Aber Higate kennt auch Geschichten von Frauen und Mädchen, die von UN-Mitarbeitern vergewaltigt wurden.

Sex gegen Essen, Sex gegen ein Handy, Sex gegen Baby-Artikel - für die Frauen ist dieser Tauschhandel demütigend und entwürdigend. Neben den psychischen Folgen drohen ihnen soziale Ausgrenzung und körperliche Risiken. Nicht selten stecken die Soldaten sie mit Geschlechtskrankheiten oder HIV an. "Aber die Frauen haben oft keine andere Überlebenschance, als sich zu prostituieren", sagt Hauser von Medica Mondiale.

Ihre Organisation fordert deshalb statt einer fadenscheinigen Rhetorik von "Null Toleranz" konkrete Maßnahmen von der UN: "Das Mindeste wäre es, die Menschen vor Ort mit ausreichend Nahrungsmitteln und Medikamenten zu versorgen, damit sich die Frauen gar nicht erst zur Prostitution gezwungen sehen." Außerdem wären klare Regularien für die Strafverfolgung von Missbrauchsfälle notwendig, sowie eine stärkere Beobachtung der Soldaten vor Ort und ein Beschwerdesystem, das die Opfer ernst nimmt.

Vaterschaftstests sollen Unterhaltsansprüche klären

Tatsächlich werden bisher die wenigsten Täter bestraft. Mitarbeiter, denen sexueller Missbrauch nachgewiesen wurde, können zwar von der UN entlassen werden. Aber für die Strafverfolgung sind die Mitgliedsstaaten zuständig und die zeigen bislang wenig Interesse daran, Soldaten, die sie zuerst für Missionen in Entwicklungsländern angeworben haben, hinterher vor Gericht zu stellen. In den Einsatzländern ist eine Strafverfolgung durch die Immunität, die Blauhelmsoldaten genießen, nicht möglich.

Da es immer wieder vorkommt, dass Blauhelmsoldaten in ihrem Einsatzland Kinder zeugen und diese nach ihrem Abzug dort zurücklassen, bieten die Vereinten Nationen Mitgliedsstaaten seit einigen Monaten DNA-Tests an, um Unterhaltsansprüche zu klären. Doch selbst dieser Schritt ist heikel: Länder, die Blauhelme stellen, sind nicht begeistert über ein Verfahren, das einzelnen Einsatzkräften nicht nur eine Vaterschaft nachweisen könnte, sondern auch einen Rechtsbruch. Bei den zwölf Vaterschaftsklagen im vergangenen Jahr ging es in vier Fällen auch um mutmaßlichen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.

Dass hier Männer, die von Steuergeldern bezahlt werden, um Hilfe zu leisten, Unrecht tun, treibt die Initiatoren der Kampagne "Code Blue" um. Ins Leben gerufen von der Organisation "Aids-free World" setzt sich die Kampagne auf politischem Wege dafür ein, dass Opfern geholfen wird und Täter sowie diejenigen, die dieTaten decken, vor ein Gericht gebracht werden. Eine zentrale Forderung der Organisatoren: Die Immunität der UN-Mitarbeiter vor Ort müsse abgeschafft und die UN-interne Bürokratie so umstrukturiert werden, dass Straftaten nicht länger so einfach vertuscht werden können.

Genderforscher Higate plädiert ebenfalls dafür, Straftaten unmittelbar zu sanktionieren. Dies müsse bereits auf der Ebene der Vorgesetzten im Einsatzland geschehen. Das grundsätzliche Problem ist allerdings, dass Frauen in einigen Ländern der Welt so arm und marginalisiert sind, dass Männer in Uniform sich ihrer im Tausch gegen eine Flasche Wasser bemächtigen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: